Trost spenden
Wir alle brauchen manchmal Trost – aber was hilft dem zu Tröstenden am besten?
Trost spenden – das ist ein löblicher Impuls, wenn wir einen Menschen sehen, der gerade leidet. Wir wollen ihm helfen, dass es ihm besser geht. Am häufigsten wollen wir das bei weinenden Kindern. Hier werfe ich mal ein despektierliches Zitat in den Raum, das ich sehr zutreffend finde:
Trostworte sind wie Schlagsahne, sie sind etwas zum Drüberschmieren.
aus „Geliebte Tochter“ von Marianne Fredriksson
Trost wird völlig überschätzt.
Wenn ich sehr traurig, sehr verzweifelt, sehr unsicher bin oder irgendein anderes sozial schwer zu ertragendes Gefühl habe, möchte ich nicht getröstet werden. Trost setzt mich unter Stress: Jemand nimmt sich Zeit für mich, will mir helfen, dass es mir wieder besser geht und gibt sich Mühe. Vielleicht nimmt er/sie mich in den Arm (ab jetzt entscheide ich mich für ein Geschlecht, damit der Text besser lesbar ist), und bei ganz vielen Menschen habe ich das Gefühl, dass ich bald Anzeichen zeigen sollte, dass das In-den-Arm-nehmen was genützt hat. Ich empfinde also eine Art Leistungsdruck: Wenn ich schon geschmust und getröstet werde, dann soll es auch helfen („Was soll ich denn noch machen, um dich zu trösten?!“). Der Andere möchte wirksam sein. Es muss also einen Vorher/Nachher-Unterschied geben. Und ich bekomme mit, dass die Situation meiner Freundin unangenehm ist: Emotionen sind Abgründe; wir gehen da nicht gerne rein, daher entschuldigen wir uns auch, wenn wir weinen, weil wir dem Anderen keine schwer handelbare Situation zumuten wollen, in der er vielleicht verlegen ist.
Wie sieht es in dem Tröstenden aus? Die Freundin oder das Kind weint, und wir werden nervös: Was machen wir nur? Die soll aufhören zu weinen! Was soll ich denn nur machen, wenn sie weint? Oh je? Schnell trösten, damit es ihr wieder besser geht. Damit es mir wieder besser mit ihr geht. Und so nehmen wir sie oder das Kind in den Arm, klopfen den Rücken, sagen Sachen wie: „Alles wird wieder gut.“ oder „Kopf hoch, ein Indianer kennt keinen Schmerz!“ oder „Auch andere Mütter haben schöne Söhne!“oder was sonst gerade passt. Bisschen Humor hilft immer, nicht wahr?
Nein. Meist nicht.
Wir wollen manchmal einfach weinen dürfen.
Ich weiß nicht, wie es Ihnen geht, aber ich möchte gerne weinen dürfen, so lange es dauert. Es hat ja seinen Grund, dass ich weine, und das Gefühl geht nicht weg, nur weil mir jemand logisch erklärt, dass es nicht da sein sollte, oder dass alles nicht so schlimm ist. Weinen hört von allein irgendwann wieder auf. Und so lange dieser Moment noch nicht gekommen ist, muss man eben weiter weinen.
So habe ich das auch bei meinen Kindern gemacht. Manchmal habe ich sie auch direkt ermutigt: „Vielleicht musst du einfach mal alles rausweinen?“ Und dann weinten sie dann. Bis sie fertig waren. Und ich war einfach da.
Wir wollen Schmerz nicht haben. Weder unseren eigenen noch fremden.
Wir haben Angst vor Schmerz. Und deshalb fühlen wir uns sehr unbehaglich, wenn jemand Schmerz empfindet. Er erinnert uns an unseren eigenen Schmerz, den wir weggedrückt haben, den wir als Kind vielleicht auch schon nicht fühlen durften. Wenn jemand gestorben ist, erinnert uns die Trauer der Freundin an unsere eigene Verlustangst, und da wollen wir nicht reingehen. Daher ist Trost wie Schlagsahne: Wir schmieren sie drüber, damit die Situation wieder komfortabel ist. Oder weil wir wollen, dass es dem Freund wieder besser geht, weil es ihm einfach nicht schlecht gehen soll. Was aber, wenn die Situation wirklich so schwierig ist, dass man sie nicht einfach wegtrösten kann? Ein Trauernder wird nicht fröhlicher, nur weil ich ihm ein einfühlsames Zitat in die Kondolenzkarte schreibe!
Auch Menschen mit Helfersyndrom sind schwierig als Tröster.
Menschen mit Helfersyndrom haben in ihrer Kindheit die Prägung erhalten, dass sie (nur?) wertvoll sind, wenn sie anderen Menschen helfen. Also brauchen sie ständig Menschen, denen sie helfen können. Daraus ziehen sie ihren Selbstwert. Wenn so jemand mich tröstet, fühle ich das Bedürfnis nach Anerkennung für diese Hilfe. Ich tue dann eigentlich etwas für den Helfer, nicht er für mich. Das fühlt sich übergriffig an, daher will ich das auch nicht.
Das größte Geschenk, das wir jemandem machen können: Einfach nur da sein.
Wenn Sie richtig am Boden sind, wäre es dann nicht schön, es wäre jemand einfach nur präsent? Jemand, der fragt, ob er Sie in den Arm nehmen soll, anstatt impulshaft zu sagen „Ach, komm mal her!“ und sich einfach über Sie zu werfen bzw. um Sie herum zu wickeln? Jemand, der die Klappe hält und zuhört. Jemand, der keine Ratschläge gibt und Sie nicht bewertet. Jemand, der nicht versucht, Ihnen zu helfen. Jemand, der höchstens Ihre Gefühle spiegelt und Ihre Sehnsüchte ausspricht. Und dann wieder schweigt. Der Ihnen Taschentücher reicht. Der Ihnen das Gefühl gibt, alle Zeit der Welt zu haben, und dass Sie einfach so lange weinen dürfen, bis es von selbst aufhört. Und der, wenn er doch keine Zeit mehr hat, z.B. sagt: „Ich würde dir gerne noch mehr Raum geben, aber ich muss in 15 Minuten aus dem Haus. Was kann ich jetzt noch tun, damit du dich wieder sammeln kannst?“ Der also nicht länger bleibt als er will, nur damit er ein guter Mensch ist, und es Ihnen hinterher aufs Brot schmiert, dass er eigentlich längst hätte gehen müssen, aber wegen Ihres Schmerzes geblieben ist. Der es genießt, mit Ihnen dort zu SEIN, wo Sie gerade sind. Und der für sich sorgt, wenn er es nicht mehr genießt.
Wenn Sie traurig sind – wie finden Sie die richtige Person zum Trösten?
Wenn jemand uns umarmt, dessen Herz eigentlich nicht offen ist, dann spüren wir das manchmal: Wir bemerken, dass da zwar Arme um uns gelegt sind, aber dass die tröstende Person sich seltsam unbeteiligt anfühlt. Wenn wir das nicht aussprechen können, weil die Beziehungsstruktur das nicht hergibt, ist es doppelt schwierig: Wir wollen dankbar sein für den Trost, aber gleichzeitig haben wir ein ungutes Gefühl, weil die Situation nicht stimmig ist. Da ich sehr sensibel bin und schon viele solcher Situationen erlebt habe, wähle ich sehr genau aus, von wem ich mich „trösten“ lasse: Kann die Person das? Will sie es auch? Würde sie merken, wenn sie nicht wirklich bereit ist, und würde sie es auch sagen? Oder würde sie über ihren Impuls hinweggehen und mich trotzdem trösten? Es kann sein, dass Sie manchmal Vorgespräche führen müssen – auch das kann seltsam sein! Aber es lohnt sich. Denn wenn Sie von jemand getröstet werden, der Ihnen nicht das gibt, was Sie brauchen, dann haben Sie hinterher weniger, als wenn Sie sich gar nicht trösten lassen.
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