Leute veräppeln

Leute veräppeln – kennen Sie Menschen, die Ihnen „aus Spaß“ eine ausgedachte Geschichte erzählen (ich hätte auch Lüge sagen können, aber der Begriff war mir zu hart), um diese dann relativ schnell wieder zu berichtigen? Sie wollen Sie nicht anlügen, aber es macht ihnen viel Spaß, Sie hochzunehmen, Sie zu veräppeln, Sie hinter’s Licht zu führen. Für solche Menschen ist irgendwie immer der 1. April. Aber warum? Welches Bedürfnis erfüllen sie sich?

Menschen, die andere gerne veräppeln, haben vermutlich Angst vor echtem Kontakt.

Ich kann mich nicht nur sehr gut in andere Menschen einfühlen (ok, meine 17jährigen Töchter stimmen mir da nur partiell zu, aber sie stellen zum Glück nur eine Mindermeinung dar), sondern ich kann die Motivation von bestimmten Verhaltensweisen auch dann erspüren, wenn niemand da ist, der diese Verhaltensweise gerade zeigt:
Als ich vor einigen Wochen mit einem Kunden einen Fototermin im Wald hatte und wir auf dem Weg zum gegenüberliegenden Waldrand waren, sagte ich im Spaß: „Schade, dass wir jetzt noch zwei Stunden laufen müssen, bis wir da sind.“ Im nächsten Moment löste ich das wieder auf, denn ich konnte die Vorstellung nicht ertragen, dass der arme Kunde auch nur zehn weitere Minuten gedacht hätte, dass er wirklich zwei Stunden laufen müsste. Ich habe ihn also „veräppelt“, aber nur ganz kurz.

Gleichzeitig stellte ich mir vor, wie es sich anfühlt, wenn man eine solche Täuschung länger aufrechterhält. Ich nahm ein Gefühl von Überlegenheit und Distanz wahr. Denn in dem Moment, wo ich dem anderen gegenüber einen Wissensvorsprung habe, den ich sogar bewusst durch eine Täuschung herbeigeführt hatte, gehe ich aus dem Kontakt. Ich genieße es, mehr zu wissen als mein Gegenüber, ich freue mich über die Macht und über seine Arglosigkeit. Mein Gegenüber ist mir ausgeliefert, denn nur ich kann die Täuschung wieder aufheben. Das koste ich aus, und weil sich das so gut anfühlt, mache ich das immer wieder – das alles konnte ich spüren, als ich diesem Pfad folgte. Es war ein sehr feines, subtiles Empfinden, und doch war es sehr deutlich.

Macht und Überlegenheit sind übersteigerte Formen des Bedürfnisses nach Sicherheit.

Wenn ich Macht über andere habe oder mich ihnen überlegen fühle, z.B. indem ich „sie verarsche“, fühle ich mich in Sicherheit – und ich brauche offenbar sehr viel Sicherheit, wenn ich sogar Macht ausüben muss. Darunter liegt Angst: Ich habe Angst vor echter Nähe und verhindere diese, indem ich mich in Geschichten flüchte, welche mein Gegenüber mir glaubt. Natürlich löse ich diese Geschichten immer wieder auf, deshalb ist es nicht „richtig gelogen“, aber wenn ich das einfach unterlassen würde, dann könnte es vielleicht zu nah werden. Ich bin ein netter Mensch, immer lustig und zu Späßen aufgelegt, aber ich zeige mich nicht wirklich, sondern trage diese Fassade aus kleinen Täuschungen vor mir her, die ja nicht böse gemeint sind, nicht wahr? Verstehst du etwa keinen Spaß?

Für die Betroffenen wirkt sich das so aus, dass sie sich mit dem Spaßvogel unsicher fühlen, weil sie sich nie darauf verlassen können, dass er „es ernst meint“ – es kann sich ja immer um ein Scherzchen handeln! Ich habe auch solche Menschen in meinem Bekanntenkreis, und ich bin immer unsicher, ob ich ihnen trauen kann. Manchmal ist es auch kein Scherz, sondern Ironie, aber das kommt für den Empfänger aufs Gleiche heraus. Wenn ich explizit nachfrage, beteuern diese Menschen oft, ja, es sei wahr, und hinterher stellt es sich doch als „Scherz“ heraus! Was ich an mir im Kontakt mit solchen „Spaßvögeln“ beobachte, ist, dass ich auch selbst auf Distanz bleibe, weil es mich nervt, nie zu wissen, woran ich bin.

Wenn Sie an sich beobachten, dass Sie gerne andere Menschen zum Spaß täuschen, sie also veräppeln, hochnehmen, hinters Licht führen, dann lade ich Sie ein, Ihre Motivation näher zu erkunden. Welches Bedürfnis wollen Sie sich damit erfüllen – und gelingt Ihnen das mit dieser Strategie? Fragen Sie auch gerne Ihre Angehörigen, wie es ihnen damit geht. Und natürlich bin ich neugierig, auch Ihre Kommentare zu diesem Thema zu erfahren. Denn vielleicht gibt es noch mehr Aspekte, auf die ich noch gar nicht gekommen bin.