Gedanken erschaffen die Realität – das wusste ich bereits. Aber kennen Sie das auch, dass Sie etwas im Kopf schon lange wissen, seine wahre Bedeutung sich Ihnen aber lange nicht erschließt? Und wenn Sie es dann erkennen, ist es so, als ob Sie es zum ersten Mal erfahren? So eine Erfahrung hatte ich gestern.

Ich saß mit meinem Mann und meiner Tochter im Wohnzimmer, wir hatten zusammen ferngesehen und unsere Tochter hatte sich aufs Sofa gelegt und war eingeschlafen. Ich sagte zweimal hintereinander zu ihr, sie solle doch ins Bett gehen. Mein Mann sagte daraufhin: „Hör doch auf, immer alle Leute zu hetzen!“ Er ging in die Küche, um sich einen Tee zu kochen, und ich blieb wütend zurück. Wie konnte er es wagen, so mit mir zu reden! Erstens hetze ich nicht alle Leute, und schon gar nicht immer! Wie konnte er mir schon wieder in den Rücken fallen! Und überhaupt meinte ich es ja nur gut mit ihr, denn wenn man nach dem ersten Schlaf mitten in der Nacht aufsteht, um dann ins Bett zu gehen, ist das total anstrengend, das Bett ist kalt, man muss noch Zähne putzen, in den kalten Schlafanzug steigen und findet nicht gleich wieder in den Schlaf. Das wusste ich alles aus eigener Erfahrung.

Als mein Mann zurück ins Wohnzimmer kam, blaffte ich ihn Mann daher auch sarkastisch an: „Ach, ich hetze also tatsächlich IMMER ALLE Leute? IMMER? ALLE?“ Er antwortete, dass ich das immer mache, wenn jemand im Wohnzimmer einschlafe. Ich hörte aber gar nicht richtig zu, sondern stieg weiter in meinen Film ab: Dass die drei (ich habe zwei Töchter) sowieso immer zusammen halten, dass er mich gar nicht richtig liebt, weil er mir immer in den Rücken fällt, dass ich eh total ausgeschlossen bin und mich unterlegen fühle, und dass es immer noch so ist wie in meiner Kindheit.

Da ich weiß, dass Gedanken die Wirklichkeit erschaffen (das ist eigentlich kein großes Ding, aber die meisten Menschen glauben es immer noch nicht), fragte ich mich, warum ich mir mit 47 Jahren immer noch erschaffe, abgelehnt zu werden und nicht dazuzugehören. Mein Mann sagte, dass ich mir das auch schon in meiner Kindheit erschaffen hätte, auch wenn ich es damals natürlich nicht so empfunden hatte. „Ja, ich weiß“, sagte ich, „aber warum tue ich es immer noch?“ Das war eher eine rhetorische Frage, aber innerhalb von wenigen Sekunden erhielt ich die Antwort. Nicht von meinem Mann, sondern in meinem Kopf.

Ich kann aus Gedanken wählen wie aus einer großen Jukebox. Und ich wähle immer die gleichen.

Als ich ein Kind war, gab es in manchen Kneipen noch Musikboxen, wo man sich für 1 Mark mehrere Songs aussuchen konnte. Die meisten Songs gefielen mir nicht, sondern ich suchte mir immer nur ganz bestimmte aus, und die hörte ich dann immer wieder. Die anderen Songs gibt es gar nicht, sie sind wie ausgegraut. Oder man geht seit Jahren in dieselbe Pizzeria und bestellt immer nur Pizza Margherita, nie Pizza Quatro Formaggi, und schon gar nicht Nudeln.

Mit Gedanken ist es genauso: Wenn ich etwas erlebe, interpretiere ich die Situation immer nach den gleichen Mustern. Obwohl meine Gedanken-Jukebox hunderte von Möglichkeiten zur Verfügung stellt, um auf eine Situation zu reagieren, wähle ich immer die, die ich schon kenne. Eine andere Wirklichkeit als die eigene ist einfach nicht verfügbar, obwohl sie direkt vor der Nase liegt. Andere Gedanken sind so ungewohnt, dass ich nicht auf die Idee komme, auch mal einen neuen Gedanken zu denken. Und sogar wenn jemand neben mir sitzt und ihn (also den Gedanken) mir mitteilt, werde ich ihn, wenn er zu weit weg ist von meiner eigenen Wirklichkeit, entweder nicht hören, nicht verstehen oder wenigstens gleich wieder vergessen.

Wenn ich mich als Kind entschieden habe, ungeliebt zu sein, dann stülpe ich diesen Film wie eine Käseglocke über jede neue Situation. Das Ergebnis ist, dass ich mich ungeliebt fühle, mich entsprechend verhalte (z.B. jammerig, beleidigt, klebrig), dadurch total unattraktiv für meine Mitmenschen bin und – nicht geliebt werde. Ich habe auf eine frische Situation mit einer alten Interpretation reagiert und verändere die Situation damit so, dass sie zu meinen alten Gedankenmustern passt.

Es stimmt ja nicht, dass ich ausgeschlossen bin oder nicht geliebt werde. Und mein Mann fällt mir auch nicht immer in den Rücken. Das hat mir nur mein Drama vorgegaukelt, weil es eben ein altes Drama ist und das seine Natur ist.

Ich fühlte mich nach dieser Erkenntnis sehr befreit und erlöst. Jetzt, wo ich dieses Gedanken- bzw. Songpaket erkannt habe, wird es mir leichter fallen, mir andere auszusuchen. Ich habe daher beschlossen, meine Gedanken noch stärker zu beobachten, negativen Gedanken einfach nicht mehr zu folgen und mir wirklich mal neue auszusuchen, auch wenn sie sich erstmal ungewohnt anfühlen. Ich weiß ja jetzt, warum.