Viele Menschen sind skeptisch, ob freie Schulen, also Ersatzschulen mit alternativ-pädagogischen Konzepten gut aufs Leben oder die Gymnasiale Oberstufe vorbereiten.
Unsere Schule ist sehr frei, jedes Kind kann seinen Tag selbst einteilen. Das löst bei vielen Eltern und auch Verwandten große Skepsis aus. „Lernt man denn da überhaupt was?“ ist die häufigste Frage, die ich höre. Und auch ich war anfangs besorgt, ob man nach der Schule im Leben durchkommt, denn es gibt keinen Zwang, an irgendeinem Unterricht teilzunehmen. Ich habe mich aber dann entschieden, zu vertrauen und habe diesen Schritt noch nie bereut.
Da unsere Schule erst zehn Jahre besteht, gibt es noch wenige Abgänger – man kann sie an einer Hand abzählen. Eine davon durfte ich vor ein paar Tagen interviewen. Emma (der Name ist natürlich geändert) war eines der ersten Kinder an der freien Schule und ist im Jahr 2012 zusammen mit ihrer Freundin Johanna (auch sie heißt in Wirklichkeit anders) auf ein Oberstufengymnasium gewechselt.
Meine Wortbeiträge sind fett und gedruckt, Emmas in normaler Schrift. Da das Interview schon lang genug ist, habe ich es nicht noch kommentiert, aber Passagen, die mir besonders wichtig sind, habe ich fett gedruckt.
Hallo Emma, vielen Dank, dass du mir dieses Interview gibst. Lass‘ uns loslegen: Wie hast du dich vorbereitet?
Erstmal wusste ich lange nicht, was ich überhaupt nach der Schule machen soll. Im 10. Jahr habe ich überlegt, dass ich gern Angewandte Theaterwissenschaft studieren will, und dafür braucht man Abitur, weil es an der Universität unterrichtet wird. Und dann habe ich lange überlegt, ob ich erst einen Abschluss mache und auf eine andere Schule gehe, oder ob ich mich selbst aufs Abitur vorbereite – das hat meine Cousine gemacht –, aber dann erschien es mir als der leichteste Weg, einfach eine Aufnahmeprüfung am Oberstufengymnasium zu machen.
Dann habe ich begonnen, mich auf die Prüfung vorzubereiten. Es sind fünf Fächer, in denen man geprüft wird, drei schriftliche (Mathe, Deutsch und Englisch) und zwei mündliche (Politik & Wirtschaft und Biologie). Die Prüfung war Ende der Sommerferien.
Mit meiner Freundin Johanna, die mit mir an diese Schule gewechselt ist, habe ich mich jede Woche getroffen und wir haben besprochen, wie wir uns vorbereiten, aber so richtig angefangen zu lernen, also auch auswendig zu lernen, habe ich erst kurz vor den Sommerferien. Davor haben wir eher geplant, was wir überhaupt noch machen müssen und wie wir es machen wollen.
Hast du es als stressig empfunden?
Ja, auf jeden Fall! Denn am Anfang habe ich es immer noch vor mir hergeschoben, aber in den Sommerferien habe ich dann doch ein bisschen Angst bekommen, hab‘ dann aber gar nicht mehr so gut dafür gelernt, weil ich schon so unter Druck stand. Aber letztendlich war es überhaupt nicht so schlimm, wie ich es mir vorgestellt hatte, denn es ging ja nicht darum, besonders viele Punkte zu erzielen, sondern nur darum, festzustellen, ob man im Unterricht überhaupt mitkommen kann.
Und wie war es dann, in der neuen Schule anzukommen?
Es war ganz anders, als ich mir vorgestellt hatte. Ich hatte mich nämlich darauf eingestellt, dass es nach zehn Jahren totaler Freiheit auf der freien Schule
Wie sind die anderen Jugendlichen?
Mit meiner Klasse verstehe ich mich super, die ist richtig toll, es ist aber auch die beliebteste Klasse unter den Lehrern. Da die Max-Beckmann-Schule ein Oberstufengymnasium ist und alle von unterschiedlichen Gesamtschulen kommen, war es für alle ein Neuanfang, und dadurch mussten sich alle neu zusammenfinden, und das hat es mir auch leichter gemacht, mich einzugewöhnen.
Und wie ist es für dich, jetzt an einer Regelschule zu sein?
Es gibt Auf- und Ab-Phasen: Manchmal finde ich alles total blöd und langweilig und fühle mich unselbstständig, weil ich nicht das machen kann, was ich tun will und bin genervt von Einschränkungen, die ich erlebe. Aber manchmal finde ich auch alles wieder ganz toll und komme gut mit dem zurecht, was gerade passiert. Aber vom Unterricht her interessieren mich die Sachen, die ich lernen muss – vor allem jetzt in der 12, wo ich Fächer abwählen konnte, die mich nicht interessieren.
Was hast du abgewählt?
Physik und Chemie. Vielleicht hatte das auch etwas mit den Lehrern zu tun, aber das haben viele abgewählt, das sind wohl so die Standardfächer, die man abwählt. Ich hatte auch nicht das Gefühl, dass ich nicht mitkäme, es hat mir nur nicht das gebracht, was ich haben wollte.
Und ist der Zusammenhalt unter den Schülern gleich wie an der freien Schule?
Unpersönlich ist es zwar nicht, aber man hat nicht so einen Bezug zu den Anderen. Natürlich schon zu meinen Freunden, aber bei meinen anderen Mitschülern ist es halt so, man unterhält sich, arbeitet auch in der Klasse zusammen und redet so ein bisschen miteinander, aber dadurch, dass man willkürlich in eine Klasse gesteckt wurde, hat man ja auch nicht immer die gleichen Interessen. An der freien Schule hat man halt etwas mit den Leuten gemacht, die in dem Moment ähnliche Interessen hatten, und das vermisse ich ein bisschen. Dadurch, dass man nur deshalb in einem Raum zusammensitzt, weil man am Unterricht teilnehmen muss, ist man eben nicht komplett freiwillig zusammen.
Ich habe erfahren, dass du mit den Lehrern nicht so gut klar kommst, bzw. dass du so gerne viel lernen würdest, aber es nicht immer so gut funktioniert. Kannst du mir dazu etwas sagen?
Das ist sehr unterschiedlich. Ich hab ganz tolle Lehrer, das muss ich jetzt mal sagen. Ich hab da wirklich sehr viel Glück gehabt, gerade in den Fächern, die mir wichtig sind. In den Fächern macht es mir auch Spaß, ich komme gut mit, und ich arbeite auch gerne im Unterricht. Aber es gibt auch Fächer, in denen ich mich mit der Art, wie das Fach unterrichtet wird, nicht wirklich wohl fühle. Zum Beispiel wird mir oft nicht klar, warum wir bestimmte Dinge eigentlich lernen. Wenn ich meine Mathelehrerin etwas frage, beantwortet sie diese Frage meistens komplett anders, als ich es gerne hätte oder bräuchte. Ich habe sie mal gefragt, wozu man eine bestimmte Sache, die wir an dem Tag gerechnet haben, eigentlich im Alltag braucht, und dann hat sie mir die Antwort gegeben: „Das machst du, wenn du Mathematik studierst.“ Das finde ich ein bisschen daneben, denn ich will ja vielleicht nicht Mathematik studieren, aber habe trotzdem Interesse an der Sache, und würde es gerne wissen. In Bio passiert mir das auch ganz oft, dass etwas gefragt wird, auch von anderen Leuten, und dann wird gesagt: „Das machen wir dann beim nächsten Thema“. Das finde ich blöd, weil das den Elan so ausbremst, obwohl man ja so wissbegierig ist, und das finde ich traurig, das nervt mich auch richtig. Die Lehrer entscheiden ja auch nicht wirklich, was sie unterrichten, die haben auch Zeitdruck, den Stoff durchzukriegen, aber es ärgert mich trotzdem.
Was mich auch stört, ist, dass wir immer nur anderthalb Stunden ein Fach bearbeiten, und dann einfach abbrechen müssen, auch wenn wir gerade noch mitten in einer Tätigkeit sind. Ich finde es traurig, dass man die Sachen nicht von Anfang bis Ende durcharbeiten kann.
Gibt es einen Unterschied im Lernverhalten, zwischen dir und den anderen Schülern?
Nein, ich glaube nicht. Es kommt natürlich immer auf die Personen an, manche lernen viel für irgendwelche Klausuren, manche nicht, ich bin eher jemand, der nicht so viel für die Schule tut, aber es gibt auch ganz viele in meiner Klasse, die viel weniger machen.
Und was ist mit diesen Lehrern, die du gar nicht magst? Hast du diese Mathelehrerin immer noch?
Ja, aber ich finde eigentlich, dass sie gar nicht so einen schlechten Unterricht macht, vor allem jetzt in der Zwölf, weil sie einfach sehr konzentriert arbeitet. Aber ich komme einfach persönlich nicht so gut mit ihr klar. Also es ist jetzt nicht so, dass wir uns blöd finden, ich finde nur ihre Art ein bisschen anstrengend.
Behandeln dich die Lehrer denn anders? Wissen die, dass du von einer freien Schule kommst?
Ich glaube, die meisten wissen es überhaupt nicht. Meine Deutschlehrerin weiß es, weil ich mich mit ihr persönlich darüber unterhalten habe, mein Tutor weiß es, aber auch erst seit kurzem, aber sonst weiß es keiner, glaube ich.
Wird es von denen, die es wissen, thematisiert?
Wir hatten am Anfang Vorstellungsrunden, wo alle sagen, aus welcher Schule sie kommen, aber da schien es gar nichts Besonderes zu sein. Mit meinen Mitschülern rede ich viel darüber, weil die auch großes Interesse daran haben, und manche verstehen es, manche nicht, manche finden es gut, manche nicht, aber unter den Lehrern ist das kein Thema, glaube ich. Unser Schulleiter weiß es natürlich, und er ist davon total begeistert. Er ist auch Lehrer, aber ich hab ihn in keinem Fach.
Und die anderen Schüler, die die freie Schule doof finden, was finden die genau doof daran?
Ich glaube, die verstehen es einfach nicht. Ich hatte mit einer Mitschülerin am Anfang ein Gespräch darüber, sie schien auch ganz interessiert daran, ich habe ihr erklärt, was ich vorher gemacht habe, auf welcher Schule ich war, und dass ich keinen richtigen Unterricht gehabt hatte, und dann hat sie irgendwann gesagt: „Dann verstehe ich aber gar nicht, wie du jetzt hier so gut mitkommst, wie du hier so weit sein kannst wie wir.“ Das fand ich ziemlich merkwürdig, weil sie ja gesehen hat, dass ich mit ihr die gleichen Sachen mache und damit zurechtkomme. Es ist eher so, dass die das einfach nicht kennen, und es sich nicht vorstellen können.
Naja, die haben ja auch jahrelang ihre Zeit in einer normalen Schule „abgesessen“, und sozusagen völlig umsonst dieses ganze Zeug gelernt, und dann kommt jemand daher, der sich die letzten zehn Jahre nur einen faulen Lenz gemacht hat, und dann sagt: „So, ich bin jetzt auch hier“, und schließt genau da an, wo die Anderen sind, die sich mit Hausaufgaben das Leben schwer gemacht haben, und kommt genauso damit klar, als hätte sie nie irgendwas anderes gemacht. Das ist bestimmt schwer auszuhalten.
Na ja, auch viele, die das Konzept an sich gut finden oder begeistert davon waren, haben das auch gesagt. Die waren jetzt nicht irgendwie sauer oder beleidigt, aber das war der Punkt, wo diese Leute es verstanden haben und sagen: „Wir haben zehn Jahre lang nicht das machen können, was wir machen wollten, sondern mussten stattdessen uninteressante Sachen machen, und du bist genauso weit wie wir.“
Empfindest du die anderen Schüler als sehr anders als an der freien Schule?
Von den privaten Interessen und außerhalb der Schule empfinde ich sie nicht als anders, aber wie sie mit dem Unterricht umgehen, und wie unmotiviert sie zur Schule kommen, finde ich schon sehr anders. Und das finde ich sehr anstrengend. Wenn du da mit 25 Leuten sitzt, und du bist die Einzige, die superinteressiert an dem Thema ist, das ist immer etwas traurig. Das kommt sehr oft vor. Bei unseren Leistungskursen, da ist es eher nicht so, die haben ja alle freiwillig gewählt, aber in vielen Fächern ist es so, weil es in jedem Fach Leute gibt, die es nicht interessiert. Insgesamt herrscht eben die Einstellung vor: „Ich muss hier sein, ich bin für die Noten und den Abschluss hier“, aber nicht, weil es die Leute wirklich interessiert, oder weil sie etwas lernen wollen. Und das ist schon ein krasser Gegensatz zur freien Schule, wo alle so weit sein können, wie sie sein wollen.
Sind die Lehrer motiviert?
Teilweise sind sie überhaupt nicht motiviert, den Unterricht irgendwie interessant zu gestalten. Das liegt, glaube ich, an dieser Routine, denn weil die Oberstufe ja nur drei Jahre geht, unterrichten die Lehrer ja immer wieder dasselbe, und dann sind da auch immer nur diese Schüler, die da eigentlich keine Lust drauf haben. Das ist, glaube ich, auch das Problem für die Lehrer, dieser Zwiespalt, guckt man jetzt nach den Schülern, die es interessiert, und beschäftigt sich mit denen, und lässt die anderen dann aber irgendwie hängen, was dann ja auch blöd ist, weil die Lehrer ja auch die Aufgabe haben, alle einigermaßen gut durchzuboxen. Das nimmt dann auch irgendwie den Enthusiasmus bei den Lehrern.
Es kann auch daran liegen, dass sie sich einfach etwas anderes vorgestellt haben, sie haben sich Fächer ausgesucht, die ihnen Spaß machen, und dann ist es wahrscheinlich schwer zu sehen, dass es Anderen keinen Spaß macht. Oder dass man genau die Sachen, die man an den Fächern gut findet, nicht unterrichten darf, weil sie nicht auf dem Lehrplan stehen.
Ich hab mich mal mit einem Freund darüber unterhalten, der auch auf einer freien Schule war, und ihm ging es ganz ähnlich wie mir, in der Art, wie wir die Schule und unser Lernen wahrgenommen haben. Er geht noch mit Enthusiasmus und Interesse in den Unterricht, aber unsere Ansicht, wie wir den Umgang zwischen Schülern und Lehrern wahrgenommen haben, war sehr ähnlich. Er findet es z.B. krass, dass es scheinbar ein ungeschriebenes Gesetz gibt, dass man über Lehrer einfach lästert, und nie gut über irgendwelche Lehrer redet. Und das ist wirklich so. Das hat mich auch die ganze Zeit gestört; gerade wenn ich die Lehrer gut fand, konnte ich es nicht so gut aushalten, wenn andere gelästert haben.
Und man sieht ja auch normalerweise gar nicht mehr die Person hinter dem Lehrer. Meine Lehrerin hat aber andersherum auch gesagt, dass sie sich zu den Schülern auch anders verhält, als sie es im „echten Leben“ tun würde, dass sie also quasi Theater spielt. Und das macht es dann natürlich auch schwer, da eine Persönlichkeit hinter dem Menschen zu sehen.
Zwei Parteien sind zusammen gekommen, und müssen sich mit Unterrichtsstoff beschäftigen, den im schlimmsten Fall keine Seite eigentlich mag, und das ist eigentlich krank.
Wie fühlst du dich damit, dass du jetzt auf einmal Noten bekommst?
Es war ja das erste Mal, dass ich Noten bekommen habe, und ich finde es auf jeden Fall sehr komisch, weil die mich gar nicht persönlich berühren. Ich habe nicht mal das Gefühl, dass die irgendetwas mit mir zu tun haben. Und mir tun die Lehrer ziemlich leid, die diese Noten geben müssen. Das ist vielleicht auch nochmal ein Unterschied, dass ich die Lehrer bemitleide, die die Noten geben müssen, wohingegen die anderen Schüler wegen der Noten eher sich selbst bemitleiden.
Ich sehe da eine ganz, ganz starke Willkürlichkeit, die persönlich von den Lehrern abhängt. Auch wenn die Lehrer es nicht gerne zugeben. Aber es ist natürlich auch so, dass man die Leute nicht objektiv nach Zahlen einschätzen kann. Und neulich hat das auch eine Lehrerin von mir zugegeben, von der ich niemals gedacht hätte, dass sie das zugeben würde, dass die Lehrer selber wirklich nur die Noten selber bestimmen dürfen, und das hat mich sehr überrascht, weil ich gerade bei dieser Lehrerin nicht damit gerechnet hätte, dass sie so ein Thema überhaupt anschneidet.
Redest du mit deinen Mitschülern darüber, dass du die meisten Lehrer eigentlich ganz nett findest, und dass die Lehrer ja nichts für das System können, und wie es für sie sein muss, Lehrer zu sein?
Es ist nicht so, dass die Schüler immer nur sagen, die Lehrer sind schlecht. Es gibt auch welche, die sagen, dass sie den Unterricht gut finden, dass er ihnen Spaß macht, und dass es verständlich erklärt wird. Solche Sätze hört man schon manchmal. Ich habe auch mit einer meiner Lehrerinnen privat Kontakt, und das wissen auch viele aus meiner Klasse. Die finden das komisch, weil es in meiner Klasse ziemlich unüblich ist. Meine engeren Freunde sind fast alle in Parallelklassen oder einen Jahrgang über mir, und da hat fast jeder einen stärkeren Kontakt zu einem oder mehreren Lehrern. Jedenfalls finden die meisten aus meiner Klasse das komisch, aber sie denken nicht, dass das irgendwas damit zu tun hat, auf was für einer Schule ich vorher war, denn auch wenn sie von der Schule wissen, ist es ihnen, glaube ich, gar nicht so bewusst, was man da für einen engen Kontakt zu den Lehrern bzw. Begleitern hatte.
Wie viel hast du dich denn in der freien Schule vor dem letzten Jahr mit Schulstoff beschäftigt? Also wann konntest du z.B. lesen und die vier Grundrechenarten?
In Deutsch musste ich für die Aufnahmeprüfung eigentlich gar nichts lernen, nur wie man bestimmte Arten von Texten schreibt, Erörterung, Charakterisierung und so weiter. Aber ich hab nie gesagt „Jetzt will ich Deutsch machen“, sondern ich habe einfach immer sehr viel geschrieben, ich war ja auch an der Schülerzeitung beteiligt. Lesen und schreiben konnte ich sowieso schon von Anfang an, und Englisch haben wir schon seit dem dritten Jahr freiwillig ein- bis zweimal in der Woche gehabt.
Mathe hab ich wirklich viel lernen müssen für die Prüfungen. Die Grundrechenarten konnte ich schon, aber der Oberstufenstoff ist da schon was ganz anderes, dafür musste ich auch am meisten lernen. Bio hab ich vorher nie gemacht, aber das war lustigerweise meine beste Prüfung. Ich hab auch nur drei Tage vorher angefangen, Bio zu lernen, weil ich mich davor nicht so motivieren konnte. Ich hab jetzt auch keine Probleme im Anschluss gehabt, Bio ist einfach ein Fach, für das man gut lernen kann.
Mit Politik und Wirtschaft hab ich mich eigentlich vorher auch nie beschäftigt, auch wenn ich politisch interessiert war. Aber da für die Prüfung spezifische Themen angegeben waren, konnte ich mich einfach gezielt damit beschäftigen. Viele von den anderen Mitschülern hatten auch noch gar kein „PoWi“.
In den anderen Naturwissenschaften habe ich auch noch nicht so viel gemacht, ganz einfach, weil es mich nicht so interessiert hat. Das ist auch heute noch so, deshalb habe ich Physik und Chemie in der Zwölf abgegeben. Biologie finde ich interessant, aber nicht so, wie wir es in der Schule machen; da finde ich es zu trocken und zu unkoordiniert, aber das liegt, glaube ich, eher am Lehrer.
Englisch, das ich als Leistungskurs habe, könnte interessant sein, aber weil wir viel zu viel in so kurzer Zeit machen müssen, reißen wir alles nur kurz an, und das ist ein bisschen blöd.
Was mich an Englisch stört, ist, dass der Fokus so auf dem Schreiben liegt, obwohl es ja viel mehr aufs Sprechen ankommt. Und einerseits sind die Klausuren wahnsinnig wichtig, aber andererseits schreibt man im Unterricht nur ganz selten mal Texte. Die Klausuren werden auch ganz merkwürdig bewertet, weil es nur ganz wenig um den Inhalt geht, den man schreibt. Es gibt drei Teilnoten: Inhalt, Rechtschreibung und Sprachgebrauch, und alles zählt ein Drittel. Das bedeutet, selbst wenn man komplett am Thema vorbei schreiben würde, hätte aber 15 Punkte auf Sprachgebrauch und Rechtschreibung, könnte man insgesamt immer noch eine gute Note bekommen, und das finde ich so unsinnig!
Was mir an den Kindern unserer Schule auffällt, ist, dass sich alle Kinder wahnsinnig gut ausdrücken können, auch die ganz kleinen. Fühlst du dich da auf Augenhöhe mit deinen Mitschülern, oder wunderst du dich manchmal, wie sie reden?
Im Unterricht fällt mir das nicht so auf, vielleicht haben sie da schon eine Routine entwickelt, wie man auf die Fragen eines Lehrers am besten antwortet. Man verstellt sich als Schüler einfach. [Zwischenruf von Michaela: „Man schleimt!“] Ja, schon. Auf jeden Fall!
Aber mir wurde sonst schon oft gesagt, dass ich mich gut ausdrücken könne. Zum einen z.B. in meinen Texten, aber auch der Schulleiter war total begeistert und hat nach den Aufnahmegesprächen gesagt, ich sei wahnsinnig ausdrucksfähig und würde so genau wissen, was ich wolle und könne das auch ausdrücken. Vorher habe ich mir das nie so klar gemacht, aber das ist ja klar, wenn alle aus der freien Schule so sind, dann merkt man es ja nicht so.
Deine Mutter hat mir von einer Klausur erzählt, wo ihr eigentlich viel Freiheit gehabt hättet, aber dann hätten trotzdem fast alle das Gleiche geschrieben. Kannst du darüber was sagen?
Ja, das war eine wichtige Klausur in Politik & Wirtschaft. Die Aufgabe bestand wie üblich darin, zunächst den Text zusammenzufassen, aber dann gab es nur noch eine weitere Aufgabe: sich mit dem Text auseinander zu setzen. Unser Lehrer hat dann gesagt: „Sie sehen ja, Sie können jetzt eigentlich machen, was Sie wollen. Ich will nur sehen, dass Sie den Text verstanden haben und sich noch weiter Ideen dazu entwickelt haben.“ Die meisten waren davon ein bisschen überfordert, weil sie ja sonst immer genau erfahren, was sie machen sollen, und das war plötzlich weggenommen. Ich konnte damit gut umgehen, weil ich es gewohnt war, mir selber zu überlegen, wie ich etwas mache. Normalerweise gerate ich immer unter Zeitdruck, aber das war dann völlig weg; ich war völlig begeistert und entspannt, konnte sogar noch ein Bild malen (das aber natürlich nicht bewertet wurde).
Fast alle anderen haben eine Erörterung, also eine Stellungnahme zu dem Text geschrieben – was ja auch ok war, da waren auch die besten Klausuren dabei! Nur ein anderer Junge hat noch so eine Art Leserbrief an den Autor verfasst, und ich habe eine Art ironischen Kommentar verfasst. Aber es war schon interessant, dass sich nur zwei Leute getraut haben, auf diese Aufgabe einzugehen und wirklich mal was anderes zu machen. Es haben lieber alle das gemacht, was sie sonst auch gemacht hatten, weil sie sich gar nicht trauten, überhaupt andere Möglichkeiten zu sehen.
Und ich kann es auch verstehen, denn wenn man schon immer in dieser ausgelutschten Schiene fährt und die Lehrer sind damit zufrieden, warum soll man sich dann den Hintern aufreißen, etwas total Spannendes, Kreatives zu machen?! Denn man weiß ja nicht, ob der Lehrer es wirklich so meint, oder ob er nicht vielleicht doch lieber eine Erörterung will und einem nur eine Falle stellt. Also geht man doch lieber auf Nummer Sicher. Man braucht wenig Gehirnschmalz, um eine akzeptable Note zu bekommen.
Hast du eigentlich auch Kunst?
Ja, aber das ist ganz schlimm. Ich hatte mich richtig darauf gefreut, und ich bin auch nicht schlecht darin – ich hab 15 Punkte mündlich! – aber ich verstehe nicht, wie ich diese beste Note bekommen konnte, obwohl es der Unterricht ist, wo ich mich wirklich am wenigsten anstrenge. Ich mache da wirklich nichts, weil es einfach zu langweilig ist. Ich habe jetzt seit anderthalb Jahren die gleiche Lehrerin und wir haben noch nie etwas gezeichnet [Mir bleibt vor ungläubigem Entsetzen der Mund offen stehen!], wir haben nur eine praktische Arbeit gemacht, die wir dann aber in den Weihnachtsferien machen mussten.
Ihr habt NOCH NIE WAS GEZEICHNET? DAS IST JA SCHRECKLICH! [ich hatte Kunst als Leistungskurs]
Ja, es ist ganz schrecklich. Eigentlich wollte ich mich im Abi in Kunst prüfen lassen, aber ich werde es in der 13 wohl abwählen, weil es so langweilig ist.
Mein Gott, das war mein LIEBLINGSFACH!
Ja, die im Leistungskurs machen auch praktische Sachen, nur wir eben nicht.
Liebe Emma, ich danke dir sehr für dieses Interview, denn ich habe den Eindruck bzw. die Hoffnung, dass du damit einigen Eltern die Angst nehmen könntest, ihre Kinder auf eine alternativ-pädagogische Schule gehen zu lassen. Mir ist das ein riesiges Anliegen, kleinen Menschen nicht durch Schule die Lust am Lernen zu verderben. Dein Erfolg an einem ganz normalen Oberstufengymnasium zeigt, dass man nach zehn Jahren ohne herkömmliche Beschulung nicht nur entspannt im System mithalten kann, sondern es einem sogar besser geht.
Schönes Interview, vielen Dank! Noch eine Frage habe ich: ich verstehe die Anmerkung „das ist nicht die Freie Schule Frankfurt“ nicht? Es gibt doch sehr viele Freie Schulen, die diese Schule nicht ist? Liebe Grüße aus Frankfurt 😉
Liebe Jule,
es gibt eine freie Schule, die Freie Schule Frankfurt heißt, wo also das Freisein Teil des Eigennamens ist. Wenn ich die Website dieser Schule anschaue, scheint sie unserer Schule vom Konzept her auch ähnlich zu sein, aber unsere Schule ist eine andere.
Auch liebe Grüße, auch aus Frankfurt 🙂
Liebe Michaela,
vielen Dank für das tolle Interview. Wir haben es gleich in unseren Überblick-Artikel zu den alternativen Schulformen verlinkt: http://www-de.scoyo.com/eltern/schule/schulwahl/alternative-schulformen-in-deutschland (unter Punkt 5 – Weitere alternative Schulformen in Deutschland und Wissenswertes).
Viele Grüße
Sina vom scoyo ELTERN!-Magazin
[…] Wie ist es für Schüler, die von einer freien Schule (mit alternativ-pädagogischem Konzept) auf eine Regelschule wechseln? Von der freien Schule ins Oberstufen-Gymnasium – ein Interview mit Emma. […]