Heute habe ich mal wieder jemanden getroffen, der wollte auf jeden Fall ein guter Mensch sein – und sich möglichst immer noch weiter verbessern. Es war ihm ganz wichtig, gute Taten zu vollbringen.
Ist es auch Ihre Absicht, ein besserer Mensch zu werden?
Und wenn ja – in welcher Hinsicht wollen Sie besser sein: Besser als die Anderen? Besser als vorher? Oder am besten beides?
Die unangenehme Wahrheit ist:
Schon die Absicht, ein guter Mensch sein zu wollen (und ein besserer Mensch werden zu wollen), hindert Sie daran, dieses Ziel wirklich zu erreichen.
Sie halten das für Quatsch? Ich werde Ihnen aufzeigen, warum es stimmt:
Wer ist das in mir, der ein guter Mensch sein muss? Mein Ego. Mein reines Bewusstsein hat solche Bewertungen nämlich gar nicht. Es ist einfach – und fertig. Reines Bewusstsein ist in der bedingungslosen Liebe. Aber macht kein Aufhebens darum.
Aufhebens macht nur das Ego – denn dadurch erhält es sich selbst. Wenn es sich ständig verändert, verbessert, weiterentwickelt, vergleicht usw., bleibt es am Leben und ist wichtig und bedeutsam.
Wenn mein Ego sich als Spezialgebiet seiner Lebenserhaltung herausgesucht hat, ein immer besserer Mensch zu werden, dann enthält dieses Streben zwei Fallen:
1. Falle:
ICH verbessere mich für eine Instanz, die bewertet, wie gut oder schlecht ICH bin. Entweder bewerte ich mich selbst, oder ich richte mich nach den Bewertungen einer anderen Person. Ich verbessere mich also, um eine gute Bewertung zu bekommen. Aber was wäre, wenn ich nicht besser würde? Dann bekomme ich eine schlechte Bewertung: „Sorry, du bist ein schlechter Mensch. Sechs. Setzen.“ Mist, und dann? Dann bin ich ja wertlos! Ich muss mich also unbedingt ständig anstrengen, damit ich gut bin, damit ich nicht schlecht bin. Unter dieser Mühe steckt also die Angst, schlecht zu sein – ein Teil von mir glaubt also, ich sei schlecht.
Etwas Gutes nur deshalb zu tun, damit man ein guter Mensch ist, ist wie Eis essen, wenn man Schnupfen hat und daher nichts schmeckt: man weiß, es ist Eis, aber man erfährt das Eis nicht. Man isst es, aber man schmeckt nicht, wie lecker es ist.
Es ist Schwarz-Weiß-Leben: die guten Taten sind weiß, die schlechten sind schwarz. Es gibt wenig Buntes in so einem Leben.
2. Falle:
Ich behaupte, Sie können gar nicht gut sein, wenn Sie nicht auch schlecht sein dürfen. Können wir immer gut sein? Nein. Jeder hat nicht nur Liebe in sich, sondern auch Hass, Neid, Missgunst, Eifersucht, Ärger, Zorn, Verachtung usw. Wenn wir das in uns wegdrücken, lehnen wir einen Teil von uns ab. Und wir projezieren diese Teile auf unsere Außenwelt und ärgern uns über unsere Mitmenschen. Das führt dazu, dass wir auch die Anderen nicht wirklich annehmen können. Und wenn wir uns nur gut verhalten, ohne es innerlich zu fühlen, ist alles Gute nur Fassade – ungefähr wie eine billige holländische Tomate im Januar.
Wenn Sie gut sein müssen, sind Sie mehr bei der guten Note als bei Ihrem Gegenüber. Sie können sich nicht einfühlen, Sie können Ihr Gegenüber nicht wahrnehmen, Sie sehen seine Schönheit und seinen Schmerz nicht.
Da Sie Ihre Verhaltensweisen und Taten in gut und schlecht einstufen, sind Sie damit beschäftigt, Smileys zu sammeln und können in die einzelne gute Tat nicht mehr mit all Ihren Sinnen eintauchen.
Alles, was Sie tun, tun Sie eigentlich nur für sich, nicht für den Anderen. Sie benutzen den Anderen, um ein guter Mensch zu sein.
Und Sie wollen auch noch Anerkennung dafür.
Stellen Sie sich einmal vor, Sie hätte diese Bewertung nicht.
Sie könnten tun, was Sie wollen und lassen, was Sie nicht wollen.
Gott würde zu Ihnen sagen: „Streng dich wegen mir nicht an, ich lieb dich sowieso – weil es meine Natur ist. Mach dich einfach locker, alles ist schick. Hier ist dein Ticket für einen Logenplatz an meiner Seite. Tue nur das, was du gerne tust, und fühle dich gut dabei.“
Wenn Sie keine Sorge haben müssten, schlecht zu sein, könnten Sie ganz anders gut sein – aber Sie würden es nicht mehr bewerten. Sie könnten auch mal schlecht sein – und auch das würden Sie nicht mehr bewerten. Ihre Welt wäre bunt. Vielleicht würden Sie manchmal etwas tun, was Sie später bedauern, z.B.wenn Sie jemandem geschadet haben. Aber Sie würden sich dafür nicht abwerten, sondern Sie könnten den Schmerz des Anderen fühlen und würdigen.
Wenn Sie etwas Gutes tun würden, würden Sie es unglaublich genießen, es einfach zu TUN. Sie würden Gute dann aus der Liebevollen Präsenz heraus tun, aus vollem Herzen heraus, und Sie würden die Liebe auf diesem Planeten mehren.
Wenn Sie das, was ich geschrieben habe, jetzt aber umzusetzen versuchen, um ein wirklich besserer Mensch zu werden, dann hat Ihnen Ihr Ego ein Schnippchen geschlagen. 🙂
Ich würde Sie bitten, sich erst einmal für das zu lieben, wo Sie schlecht sind: Umarmen Sie Ihren Ärger, Ihre Verachtung, Ihren Neid, Ihre Gier, Ihre Arroganz, und dass Sie manchmal keine Lust haben, die Oma über die Straße zu bringen.
Seien Sie schlecht.
Natürlich meine ich nicht, dass Sie sich eine Kalaschnikov kaufen und Leute abknallen sollen.
Ich meine, dass Sie es fühlen sollen, wenn Sie sich am kalten Büffet gerne die zwei letzten Portionen Tiramisu schnappen wollen (vielleicht nehmen Sie sie sogar!:-)). Dass Sie fühlen, wenn Sie Ihr Kind gerade zum Kotzen finden (Sie müssen es ihm ja nicht sagen!).
Und dass Sie fühlen, dass Sie keine Lust haben, schon wieder 5,- für den kleinen Wanderzirkus zu spenden.
Das ist der Anfang von innerer Integrität.
„Wie jeder Mensch bin auch ich eine Heilige und ein A…loch, und ich darf das sein.“
Ich wünsche Ihnen, dass Ihre Bewertungsskala Gut/Schlecht irgendwann zerbröselt.
Denn dann wird der Weg frei für Herzensverbindungen mit anderen Menschen.
Ganz ohne Note. 🙂
[/fusion_builder_column][/fusion_builder_row][/fusion_builder_container]
Hoi Michaela,
ich sitze gerade an meiner Hausarbeit und habe deswegen vieeel Zeit im Internet zu surfen, das wird wohl auch der Grund sein, weshalb ich deine Seite gefunden habe. Das hier ist der ~achte Artikel den ich von dir lese, finde du schreibst wirklich gut, nachvollziehbar und überzeugend.
Allerdings möchte ich zu diesem Eintrag hier etwas anmerken:
Ich denke schon, dass man ein besserer Mensch durch bloße „Anstrengung“ werden kann. Im Endeffekt verneinst du das, weil es gar kein gut/schlecht deiner Meinung nach gibt, also kann man natürlich auch nicht „besser“ werden.
Ich stimme dir zu, dass jeder Mensch gute und schlechte Seiten in sich hat, doch die Kunst ist es doch gerade, seine schlechten Seiten „im Zaum zu halten“. Du hast es in deinem Artikel „wegdrücken“ genannt. Stelle dir folgende Situation vor:
Eine Person die dir viel bedeutet verletzt dich. Wirft dir ungerechte Dinge vor und schreit dich an. Nun gibt es eine ganze Bandbreite wie man reagieren kann, je nachdem welcher Typ man ist. Die einen brüllen zurück, andere werden vllt sogar gewalttätig, der nächste sagt gar nichts und ist nur traurig/enttäuscht.
Jetzt kann man doch die Reaktionen sehr wohl in gut/schlecht/angemessen wie auch immer kategorisieren? Schlägt der Typ seine Frau, weil sie (aus seiner Sicht) frech wurde, dann ist das für uns Europäer definitiv eine schlechte (unangemessene) Reaktion. Nehmen wir an jemand verspürt diesen Drang tief in sich, er ist in dem Moment einfach so verletzt und weiß sich nicht anders zu helfen – und schlägt zu. Für ihn ist das total befreiend und er kann nicht anders. Auch wenn ich diesen Impuls nachvollziehen kann, muss ich ihn trotzdem verurteilen. Ruhig bleiben in solchen „Stresssituationen“ kann man lernen, man muss dieser aufkeimenden Gewalt nicht nachgeben. Schafft man dies, wurde man nicht nur „für sich“ ein besserer Mensch – denn nicht das Ego alleine entscheidet über gut und böse, sondern unsere Gesellschaft. Man könnte demnach sagen, jemand der vorher seiner gewalttätigen Seite nachgegeben hat und nach einem bestimmten Ereignis nicht mehr, wurde objektiv ein besserer Mensch?
Auch wenn man viele Reaktionen nachvollziehen kann, muss es doch einen moralischen Maßstab geben an dem Handlungen gemessen werden. Wie genau dieser Maßstab sich herausbildet ist hier in diesem Zusammenhang ja egal – aber vereinfacht wird es wohl noch länger bei gut und böse bleiben.
Bekommt ein Manager Millionenboni obwohl das Unternehmen rote Zahlen schreibt, ist er für mich einfach ein geldgieriger Sack. Dass vermutlich 90% der Bevölkerung genau das Gleiche in seiner Situation getan hätte, macht sein Verhalten nicht besser. Er ist deswegen nicht gleich ein schlechter Mensch, aber er hat eine schlechte Eigenschaft. Und die Summe unserer positiven und negativen Eigenschaften könnte und schon zu guten/schlechten Menschen machen. Wenn er das Geld so gerne genommen hätte, es aber aus Scham nicht tut, dann müsste man noch mal überlegen, wie man das einordnet..
Schönen Blog haben Sie hier 😉
Gruß aus Marburg
Hallo Philip,
vielen Dank für deine vielen Kommentare! 😀
Das kenne ich, dass man beim Hausarbeit-Schreiben gerne mal abschweift. Als ich noch Jura studiert habe, gab es das Internet zum Glück noch nicht, sonst wäre es mir noch schwerer gefallen, mich zu konzentrieren, als es so schon war. Ich werde deine Kommentare einzeln beantworten, damit meine Antwort immer unter dem richtigen Kommentar steht.
Zum Thema „Besserer Mensch werden“:
Boah, das ist ein großes Fass, das du da aufgemacht hast! 😀
Ich habe den Eindruck, wir leben in unterschiedlichen Paradigmen. Mal sehen, ob ich dir meins erläutern kann.
Ich vertrete die Ansicht, dass Kategorien von Menschen gemacht sind. Es gibt also kein absolutes Gut und Böse, sondern jede Zivilisation bestimmt für sich selbst, was sie für gut und für böse befindet. Deutsche haben also andere Kategorien als US-Amerikaner, Afrikaner oder Chinesen, auch wenn die Menschen sich in einigen Punkten vielleicht einig sind. Das ist schon mal das erste Problem – man ist gut oder böse ja immer in einem bestimmten Bezugsrahmen. In der Natur gibt es kein Gut oder Böse: Die Elster frisst die Eier der kleineren Vögel und niemand unter den Vögeln bezeichnet sie als Arsch (vermute ich mal), und Schnecken rutschen über ihre eigenen Babys und zerquetschen sie dabei. Unsere Meerschweinchen haben eine Rangordnung, und als das Männchen noch lebte, hatte es immer den besten Platz im Stall. Das fanden wir sehr ungerecht und machohaft, aber was wissen wir schon vom Sozialverhalten von Meerschweinchen? Sie tun das eben so.
Die Menschheit hat sich im Laufe ihrer Geschichte schon die unterschiedlichsten Werte gegeben (kennst du die Spiral Dynamics? Könnte dich interessieren!) und je nach Wertesystem ist man gut oder böse. Das ist eine Definitionsfrage. Und dennoch hat jeder Mensch immer alle möglichen Triebe und Emotionen in sich: Liebe, Freude, Trauer, Hass, Gier, Fürsorge, Angst, Hochmut, Arroganz, Neid etc. Wir sind wie ein Karrussell, wo sich alle möglichen Gefühle abwechseln.
Ich meine nicht, dass man alles ausleben soll, was man in sich spürt (und damit bin ich also deiner Meinung), aber ich finde es wichtig, dass man alles erkennt, was man in sich findet und dass man es umarmt. Nur wenn ich die Gewalttätigkeit in mir kenne und umarme, kann ich Mitgefühl mit anderen Menschen haben, die gerade gewalttätig sind. Wenn ich mich aber total abgrenzen muss von meinen negativen Anteilen, dann werde ich sie außen überall erblicken.
Ich bin nach landläufiger Meinung wahrscheinlich eher ein guter Mensch: Ich biete meinen Sitzplatz an, wenn eine ältere Frau in die U-Bahn steigt, ich schreie nicht herum (außer mit meinen Kindern manchmal), ich klaue nicht, ich versuche, niemanden zu verletzen, ich will niemandem etwas Böses etc. Aber ich sehe in mir auch Gewalttätigkeit, Neid, manchmal Hass und Verachtung, Intoleranz und sogar Rassismus. Ich lebe das nicht, aber ich fühle es. Und damit habe ich Verständnis für Menschen, die anderen Böses tun. Ich sehe, wie sie nicht anders können. Es gibt niemanden, der sich gut fühlt und schlecht benimmt.
Nach meiner Erfahrung dient die Kategorisierung Gut/Böse nicht der Verbindung zwischen Menschen, sondern nur der Bewertung von Verhalten. Wenn jemand ein besserer Mensch werden will, dann will er das ja vor allem, um im übertragenen Sinne eine gute Note oder ein Fleißsternchen zu bekommen. Andere sollen ihn positiv bewerten (aber diese „anderen“ müssen nicht außen sein – bei vielen von uns ist es ein „Eltern-Ich“, also unsere internalisierten Eltern).
Es ist so, als wenn du dich nur für eine gute Note mit einem Thema beschäftigst, aber nicht, weil dich das Thema an sich interessiert.
Ich finde die Unterscheidung guter Mensch / schlechter Mensch unnütz. Was hat man davon, jemanden auf diese Weise zu bewerten? Man ärgert sich doch nur! Wozu soll das gut sein?
Zu deiner Frage, was ich mache, wenn mir jemand, der mir viel bedeutet, ungerechte Dinge an den Kopf wirft, kann ich folgendes sagen:
Ich würde versuchen, herauszufinden, was er hat. Ich würde mich in seine Welt einfühlen und nachforschen, was ich getan habe, das ihn so aufgebracht hat. Ich würde schauen, was es mit mir zu tun hat.
Du hast Recht, Menschen brauchen wohl einen Moralmaßstab. Is‘ ja auch ok. Aber ich sage es mal so: moralische Maßstäbe sind wie Plastikblumen: besser als nichts. Aber echte Blumen (also echte Liebe und Mitgefühl) sind mir eben lieber. 😉
Vielen Dank für diesen wunderbare Artikel, auf den ich gerade zufällig aufmerksam geworden bin! Er könnte mir auf meinem Weg helfen, mich selbst zu finden und meinem inneren Kind eine Heimat zu geben. (Rehabilitation von Burnout)