Obwohl in der Community der Gewaltfreien Kommunikation betont wird, dass es auf die Haltung ankommt und nicht auf die Worte, erlebe ich manchmal genau das: richtige Worte und sonst nichts. Für viele GFK-Anwender ist GFK der Himmel – und nicht nur die Leiter in den Himmel.
Wenn man zu sehr an GFK anhaftet, kann dies dazu führen, dass es einem mehr darum geht, GFK zu sprechen anstatt sich wirklich einzufühlen. Wenn ich einer solchen Giraffe etwas sehr emotional erzähle, habe ich dann ein Gegenüber, das mir mehr oder weniger ausdruckslos zuhört und mir meine Gefühle und Bedürfnisse spiegelt. Und das ist wie beim Aldi einkaufen – im ersten Gang sind die Süßigkeiten und die Spirituosen, dann kommen die Putzmittel, an der hinteren Wand Toilettenartikel usw. Ich will damit sagen, dass die zuhörende Person völlig austauschbar wird, wenn sie GFK spricht, anstatt sich einzufühlen.
Wenn man GFK wirklich beherrscht, klingt oft alles sehr ähnlich.
„Wenn ich beobachte, dass deine Socken auf dem Tisch liegen, dann fühle ich mich unruhig, weil mir Ordnung und Wertschätzung so wichtig sind.“ „Wir waren um 15 Uhr verabredet, und jetzt, wo du kommst, ist es 16 Uhr, und ich fühle mich ärgerlich und frustriert, weil ich Zuverlässigkeit und Planungssicherheit brauche.“ Ich weiß nicht, wie es Ihnen geht, aber bei einer solchen Vereinheitlichung der Sprache habe ich keinen Spaß mehr, mit dem Anderen zu sprechen, weil sowieso immer die gleichen Bausteine benutzt werden.
Sich einfühlen heißt für mich sehr häufig meist zunächst: lange zuhören.
Manchmal muss ich Verständnisfragen stellen, aber oft sage ich lange gar nichts. Irgendwann, wenn ich mich intensiv genug in die Situation gestellt habe, fühle ich ziemlich genau, wie die andere Person sich fühlt. Ich frage dann z.B.: „Ist da der Gedanke, dass du dem Anderen sowieso nicht wichtig bist, und dass sich eh keiner für dich interessiert?“ Manchmal sehe ich mehrere Gedanken und mehrere Gefühle und frage sie der Reihe nach ab – und oft habe ich eine 80%ige Trefferquote.
Für mich hat GFK eine Menge mit Surfen zu tun: Ich surfe in der Welt des Anderen. Ich kenne die Welt des Anderen ja nicht, daher höre ich zu, schaue mir alles an, wenn ich etwas finde, das ich nicht kenne, frage ich nach und spreche aus, was ich sehe – in einer fragenden Haltung.
Einfühlen kann man sich nur mit dem Herzen – nicht mit dem Kopf.
Egal, wie gut ich GFK beherrsche, ich kann mich nur einfühlen, wenn das Herz offen ist – wenigstens einigermaßen. Mit geschlossenem Herzen ist es ein Ermittlungsverfahren, ein Verhör: ich stelle die richtigen Fragen, aber der Andere fühlt sich nicht sicher, ist argwöhnisch, antwortet nur zögerlich. Oder ich mühe mich zwar redlich ab und stelle viele Fragen, treffe aber nie den Punkt – und das ist dann wie bei einem Liebesakt mit einem Ungeübten.
Wenn das Herz offen ist, kommt es auf die vier Schritte nicht mehr an. Aber um das Herz zu öffnen, darf ich die vier Schritte nicht wie eine Checkliste auf dem Schoß liegen haben. Es darf mir nicht darum gehen, es „giraffisch richtig“ zu machen, denn sonst stelle ich vielleicht wichtige Fragen nicht, nur weil sie außerhalb der sog. „Schlüsselunterscheidungen“ liegen.
In meinen Übungsabenden mache ich am liebsten Rollenspiele – weil die Teilnehmer sofort spüren, was funktioniert und was nicht. Es sind nicht die Worte, die den Anderen erreichen. Nur wenn die Worte stimmig sind mit dem, was auf den übrigen Wahrnehmungskanälen bei mir ankommt (Körperhaltung, Tonlage, Gesichtsausdruck etc.), dann erreicht mich der Andere. Ich muss das Gefühl haben, er meint es ehrlich, er sagt es nicht nur, um etwas zu erreichen. Er meint wirklich mich.
„Ich kann den Anderen ändern, wenn ich GFK richtig anwende.“
Nach meiner Erfahrung stimmt das nicht. Jeder Mensch hat das Bedürfnis nach Integrität, d.h. wir alle wollen so geliebt werden, wie wir sind. Erstens kann ich niemandem Empathie aufdrängen, nur weil ich das Gefühl habe, er brauche sie (siehe dazu den Artikel „Empathie ist das Wichtigste – oder doch nicht?). Und zweitens kann ich nicht erwarten, er ändere sich, nur weil er genug Empathie erhalten hat. Kirsten Kristensen, eine wundervolle dänische GFK-Trainerin, hat einmal gesagt: „Empathie ist kein universelles Schmiermittel.“ Vielleicht ändert der Andere nicht einmal sein Verhalten?
Und wenn er es tut, dann ist das ein wunderbares Geschenk. Aber ich darf es nicht erwarten.
Ist GFK blöd?
Nein, natürlich nicht. GFK ist sehr nützlich in Kommunikation, wenn man sie nicht übertreibt, d.h. wenn man nicht die Einhaltung der Methode über die Verbindung stellt.
Marshall Rosenberg sagt selbst: „GFK ist ein Werkzeug, um mich über meine kulturelle Programmierung zu bringen, [die wie ein trennender Fluss wirkt], damit ich an den heiligen Ort gelangen kann. GFK ist nicht der heilige Ort. Wenn wir süchtig nach dem Floß werden, wird es schwerer für uns, an den heiligen Ort zu gelangen. Menschen, die nur den Prozess der Gewaltfreien Kommunikation lernen, können alles über den heiligen Ort vergessen, an den sie hinwollen. Wenn sie sich zu sehr an das Floß ketten, wird der Prozess mechanisch.“
Ich konzentriere mich einfach mehr auf den heiligen Ort.
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