Fremdenhass – Hass ist nie eine Lösung!

Ich habe lange gezögert, einen Blogartikel zu den derzeitigen Entwicklungen in Deutschland zu schreiben – größtenteils aus der Angst, missverstanden zu werden, aber auch aus der Resignation, sowieso nichts ändern zu können. Dass ich es jetzt doch tue, kommt daher, dass ich einen Gedanken in die Diskussion bringen will, den ich öffentlich noch nie gehört habe, so dass ich davon ausgehe, dass er wohl neu ist.

Je mehr wir die Rechtsradikalen ins Unrecht setzen, desto größer wird ihre Anzahl.

Natürlich sind die Flüchtlinge meinem Herzen viel näher als die rechtsradikalen Deutschen. Und ich bin traurig und entsetzt, wenn ich lese, was letztere diesen Menschen antun, die ohnehin schon alles verloren haben und jetzt um ihre nackte Existenz kämpfen. Da ist so viel Herzlosigkeit, Dumpfheit, Empathielosigkeit und Angst.

Ich kann mir keinen Nazi vorstellen, der durch Beschimpfungen bekehrt wird.

Verurteilung ist offensichtlich nicht die Lösung, denn obwohl immer noch die Mehrheit der Bevölkerung die Rechtsradikalen und „besorgten Bürger“ verurteilt, wächst ihre Zahl immer weiter. Und das ist auch nach den Gesetzmäßigkeiten der Reaktanz auch vollkommen logisch: Je mehr man ins Unrecht gesetzt wird, desto mehr verschließt man sein Herz und rottet sich mit anderen zusammen, die genauso denken wie man selbst. Laut Wikipedia ist …

„… Reaktanz eine komplexe Abwehrreaktion, die als Widerstand gegen äußere oder innere Einschränkungen aufgefasst werden kann. Reaktanz wird in der Regel durch psychischen Druck (z. B. Nötigung, Drohungen, emotionale Argumentführung) oder die Einschränkung von Freiheitsspielräumen (z. B. Verbote, Zensur) ausgelöst. Reaktanz liegt typischerweise dem „Reiz des Verbotenen“ zu Grunde. Sie ähnelt dem Trotz, der jedoch auch aus anderen Gründen als der Beschneidung von Freiheit auftreten kann. Typisch für die Reaktanz ist eine Aufwertung der eliminierten Alternative, d. h. gerade diejenigen Freiheiten, die der Person genommen wurden, werden nun als besonders wichtig erlebt. Die betroffene Handlungsmöglichkeit kann der Person zuvor völlig unwichtig gewesen sein. Im Extremfall hat die Person von dieser Handlungsmöglichkeit vor dem Eintreten der Beschränkung nie Gebrauch gemacht, übt die Handlung aber seit dem Eintreten der Einschränkung aus. Reaktantes Verhalten besteht darin, solche Handlungen nun erst recht auszuführen.“

Je stärker wir uns zusammenrotten gegen die „rechten Arschlöcher“, desto mehr verhärten sich die Fronten. Durch unsere enorme Verurteilung begünstigen wir die Verbreitung des rechtsradikalen Bewusstseins also noch. Hass gebiert immer nur mehr Hass; noch nie ist aus Hass etwas Gutes entstanden. Um die Zahl wieder zu reduzieren, müssen wir die Strategie ändern.

Empathie statt Verurteilung

Wenn Menschen einander Gewalt antun, dann geschieht das in der Regel aus einer Not heraus bzw. aufgrund eines destruktiven Bewusstseinszustandes. Jedes Verhalten soll ein Bedürfnis erfüllen, und das Verhalten, das jemand wählt, ist das Beste, das ihm in diesem Moment eingefallen ist.

Marshall Rosenberg (1934-2015), der Begründer der Gewaltfreien Kommunikation, war Jude und in Detroit aufgewachsen – laut Wikipedia eine der gefährlichsten Städte der USA. Fast täglich wurde Rosenberg von Mitschülern verprügelt, weil er Jude war. Als während furchtbarer Rassenkrawalle innerhalb einer Woche 30 Menschen getötet wurden, konnte er tagelang nicht das Haus verlassen. Erst entwickelte sich Rosenberg zum Raufbold, doch mit der Zeit begannen drei Fragen im Kopf des Heranwachsenden zu kreisen: Was ist es, das Menschen gewalttätig werden lässt? Warum bleiben andere Menschen selbst unter schlimmsten Umständen mitfühlend? Wie lässt sich das beeinflussen und verändern? Er studierte Psychologie, um diese Fragen zu beantworten und entwickelte schließlich die Gewaltfreie Kommunikation.

Rosenberg arbeitete viele Jahre weltweit als Mediator in Krisengebieten sowie in Gefängnissen. Er sagte einmal, wenn Gewaltfreie Kommunikation funktioniere, dann müsse sie auch bei Hitler funktionieren.

Wir scheuen uns, den Teufel zu verstehen, weil wir Angst haben, selbst zum Teufel zu werden.

In den Medien fällt mir auf, dass angesichts unserer schuld- und schambelasteten Geschichte Toleranz und Fremdenfreundlichkeit zu einer Pflicht geworden sind. Braun ist so widerlich, dass wir uns ostentativ von unserer Vergangenheit abgrenzen müssen. Wir haben nicht nur Angst, dass die Kackfarbenen wieder die Macht übernehmen (ich auch!), sondern auch, selbst zu ihnen gezählt zu werden oder von ihnen applaudiert zu bekommen. Angehörige bestimmter Bevölkerungsgruppen kann man nicht kritisieren, ohne als rechts eingestuft zu werden oder ohne befürchten zu müssen, von Rechten auf die Schulter geklopft zu bekommen. Vor lauter Scham, dass unsere Vorfahren etwas so Ungeheuerliches getan bzw. nicht verhindert haben, und vor der Panik, dass es womöglich wieder passieren könnte, sind viele von uns erstarrt in politischer Korrektheit – ich auch. Und daher haben wir den inneren Zwang, das Rechte zu bekämpfen, wo es aus dem Boden schießt. Wir können es nicht anschauen, weil wir so große Angst davor haben, dass es auch in uns sein könnte. Und das ist auch der Fall, denn wir politisch Korrekten sind den Rechten gegenüber also genauso feindlich, wie die Rechten den Ausländern bzw. Juden gegenüber fremdenfeindlich sind. Nur die Intensität unterscheidet sich. Noch. Und in unserer Panik, das Teuflische unbedingt zum Verschwinden bringen zu müssen, machen wir es größer, siehe Reaktanz.

Wenn wir unsere Angststarre und Entsetzen vor der Fremdenfeindlichkeit überwinden würden, könnten wir sie vielleicht mal näher anschauen. Fremdenfeindlichkeit existiert. Durch die Verurteilung verschwindet sie nicht. Jeder mag jemanden nicht. Wir hassen die Rechten. Die Rechten hassen Linke und Ausländer. Viele Moslems halten alle Andersgläubige für Ungläubige (finde ich auch problematisch!), manche Christen halten ihrerseits alle Andersgläubigen für Heiden (auch das finde ich schwierig!), und aus seiner persönlichen Perspektive hat immer jeder gute Gründe.

Dass wir Linken und Mittleren nicht merken, dass wir mit den Rechten zumindest gedanklich das Gleiche machen wie die Rechten mit den Flüchtlingen, liegt nur daran, dass wir Linken und Mittleren im Recht sind: Wir (ich rechne mich ja dazu) haben gute Gründe, gegen die Rechten zu sein, weil sie sich menschenverachtend verhalten, Häuser anzünden und was weiß ich noch alles tun. Aber die „Gute Gründe“-Karte kann jeder ziehen, auch der Nazi, und auch wenn er es aufgrund von Fehlinformation oder schierer Dummheit tut. Aus seiner Sicht hat er gute Gründe. Und wenn wir ihn hassen, statt Mitgefühl zu haben, dann sind wir nicht besser als er.

Verstehen Sie mich nicht falsch: Ich will Rassisten um Gottes Willen nicht in Schutz nehmen. Ich finde die derzeitige Entwicklung schlimm und traurig. Da ich mich jedoch schon seit 2003 mit Gewaltfreier Kommunikation beschäftige, ist es mir zu schlicht, die Rechten nur abzulehnen. Sie sind nun mal da, und wir müssen irgendwie mit ihnen umgehen. Wir können sie nicht alle einsperren, auch wenn ich manchmal denke, wir könnten sie doch einfach alle in die ehemalige DDR packen und wieder einen Zaun drumherum bauen, dann hätten wir alle unsere Ruhe, auch die Nazis!

Dass wir, die wir die Flüchtlinge willkommen heißen, mit den Nazis nicht genauso mies umgehen wie diese mit den Flüchtlingen, kommt ja nur daher, dass wir uns besser benehmen können. Die Menge an Hass ist aber dieselbe. Sie zeigt sich nur anders.

Jeder hat Fremdenhass in sich.

Fremdenhass bzw. Angst vor Fremden ist so alt wie die Menschheitsgeschichte. Welche Art von Fremdheit wir mögen, welche uns bedroht, und gegen welche wir aus welchem Grund und in welcher Intensität vorgehen, ist subjektiv und unterschiedlich und kann sich ändern. Für jeden ist etwas anderes fremd und eklig, und zum Glück wird nur ein kleiner Teil von uns gewalttätig gegen das Fremde.

Wir mögen lieber, was wir kennen, was uns ähnlich ist – oder was wir angenehm aufregend finden. Und wir lehnen ab, was von uns abweicht. Schon ein Fußballfan, der den falschen Verein anschmachtet, kann uns zur Weißglut bringen, wenn wir genug Alkohol im Blut haben und/oder durch unsere Lebensumständen genug unter Spannung stehen. Die, die sich besser im Griff haben, rümpfen über einen Anhänger der falschen Partei die Nase (ich meine jetzt die demokratischen Parteien); Fleischesser lästern über Veganer und umgekehrt, Atheisten veranstalten z.B. Kongresse gegen Esoteriker etc.

Warum haben so viele Ostdeutsche Angst vor den Flüchtlingen?

Rechtsradikalität begann nach meiner Einschätzung eher als ostdeutsches Problem: In der DDR gab es außer ein paar Nordvietnamesen keine Ausländer, wenn ich richtig informiert bin. Den Ostdeutschen fehlen die vielen Jahrzehnte Gewöhnung, die wir Westdeutschen schon hinter uns haben, und die dazu geführt haben, dass z.B. in Frankfurt am Main Deutsche und Migranten entspannt nebeneinander her leben. Als ich mal ein paar Tage in der Uckermark Urlaub machte, fiel mir auf, wie wenig Ausländer es dort gab. Dass selbst die Pizzerien in deutscher Hand waren, fand ich richtig creepy! Wenn also in Ostdeutschland Flüchtlingsheime errichtet werden, ist das ein krasser Anstieg an Fremdheit, und wenn man das nicht gewöhnt ist, kann einen das offenbar sehr überfordern.

Wenn ich mich einfühle, bekomme ich viele unterschiedliche Ängste mit. Zum einen fürchten sich viele Ostdeutsche, weil sie die Flüchtlinge nicht verstehen und so wenig Gelegenheit haben, sie kennen zu lernen. Und der Osten ist vielleicht wirtschaftlich so schwach, dass uninformierte und geistig arme Zeitgenossen denken, Flüchtlinge würden ihnen etwas wegnehmen. Das funktioniert besonders, wenn jemand sie mit einfach verständlichen Parolen aufhetzt.

Die Ostdeutschen sind immer noch von der DDR traumatisiert.

Außerdem darf man nicht unterschätzen, dass Ostdeutsche von der DDR immer noch traumatisiert sein könnten: Eine Bekannte, die in Erfurt geboren ist, hat mir neulich erzählt, dass ihre Mutter kürzlich bei einer Renovierung ihrer Wohnung noch Abhördrähte aus der Wand entfernt hat. Wir können uns gar nicht vorstellen, wie es sein muss, über 50 Jahre (erst Drittes Reich, dann DDR) in einem Überwachungsstaat gelebt zu haben. Die ständige Angst, bespitzelt oder verraten zu werden, legt man ja nicht einfach im Ordner „Unangenehme, aber abgehakte Erinnerungen“ ab, sondern sie wirkt in den Zellen und erschafft ein Gefühl von ständiger Anspannung. Wenn man einen Zustand nicht haben will, zieht man sich zusammen, und wenn die abgelehnte Situation lange andauert, erinnert sich der Körper gar nicht mehr, wie es sich anfühlt, entspannt zu sein. Diese Kontraktion führt dazu, dass man weniger Schmerzen fühlt, aber sie verengt auch die Wahrnehmung insgesamt. Und da die DDR-Bürger subtil, aber real wirklich ständig überwacht wurden – bzw. es Willkür war, ob sie überwacht wurden oder nicht –, lebten sie über Jahrzehnte in einer Dauerbedrohung. Wir Westdeutschen können uns nicht wirklich vorstellen, wie das sich anfühlt. Aber ich bin sicher, dass es viel innere Stärke braucht, angesichts dieser Umstände innerlich weich und mitfühlend zu bleiben. Denn unter einer solchen Bedrohung traumatisiert und eine dauerhafte Verengung des ganzen Bewusstseins zu erleben, ist nachvollziehbar. Und diese Traumatisierung umfasst mehrere Generationen, und auch die nach der Wende geborenen Generationen erben diese Anspannung von ihren Vorfahren. Halbwegs intelligente Menschen können diese Anspannung irgendwie verarbeiten, aber schlichtere Gemüter sind nicht in der Lage, über sich selbst zu reflektieren.

Und wenn einer von den schlichteren Ossis (es gibt ja zum Glück auch viele intelligente!) es dann schwer hat, eine Arbeit zu finden, sowieso traumatisiert ist und ein begrenztes Bewusstsein hat, und dann kommen da welche, die er nicht versteht, die anders aussehen und sich anders verhalten, dann hat er Angst (lesen Sie hier, warum Angst das größte Gefängnis ist). Weil er einfach nicht den Grips hat, um differenziert zu denken, sucht er schlichte Lösungen und Antworten. Und findet sie. Und wenn er dann für diese Lösungen auch noch abgelehnt wird, wird er trotzig und aggressiv – siehe Reaktanz.

Man sollte daher Fremdenfeindlichkeit nicht mit Hass und Verurteilung begegnen, auch wenn das unser erster Impuls ist – und ich ihn auch habe. Denn niemand wird weniger fremdenfeindlich, nur weil er weiß, dass er das nicht sein darf. Denn die Angst oder Feindseligkeit verschwindet nicht, nur weil man sie abwertet. Sie wird dann eben so lange versteckt, bis sie wieder gesellschaftsfähig ist. Und leider ist sie das nun. Jetzt breitet sich der Rassismus auch noch in Westdeutschland aus. Das macht mir Angst und ich möchte das gerne ändern. Aber ich glaube, es geht nicht mit noch mehr Verurteilung, sondern durch Zuhören, durch Empathie und erst dann durch Aufklärung: Was macht den Menschen Angst? Können wir das hören und erstmal wertfrei da sein lassen, damit sie sich öffnen? Denn unsere guten Argumente können sie nicht hören, wenn wir sie ins Unrecht setzen. In den vielen Jahren GFK habe ich gelernt, dass man erst Empathie für die eigene Lage braucht, bevor man auch andere Meinungen anhören kann. Natürlich ist es schwer, einem Rechtsradikalen zuzuhören, ohne ihm gleich an die Gurgel zu gehen. Da müssen wir einander gegenseitig sehr unterstützen, damit wir „angefüttert“ wieder weitermachen können. Aber lasst uns doch bitte dazu beitragen, dass so viele Rassisten wie möglich sich wieder mit ihrer Menschlichkeit verbinden! Ja, das ist schwer, und wir werden nicht alle erreichen. Aber es ist notwendig, dass wir so viele erreichen wie möglich.