Fremdenfeindlichkeit und Rassismus kann man nicht bekämpfen. Nur integrieren.

Über Fremdenfeindlichkeit habe ich schon im Februar einen Artikel geschrieben. In der Zwischenzeit hat sich die Lage weiter zugespitzt: Die Guten stellen sich auf der einen Seite zusammen und „kämpfen gegen Rechts“, die Bösen rotten sich im anderen Lager zusammen, feixen, spotten und hetzen aufs Übelste und freuen sich über die schöne Aufmerksamkeit, die sie bekommen. Die Tatsache, dass ständig irgendwo Anschläge passieren und dass Flüchtlinge und Terroristen oft aus demselben oder ähnlichen Kulturkreisen stammen, macht die Situation nicht gerade übersichtlicher. Der Rechtsruck auf der Welt ist wirklich beängstigend, vor allem, weil jetzt auch noch ein Populist Präsident der USA ist. Aber ich bleibe dabei, dass Abgrenzung und Ausgrenzung keine Lösung sind. Wegen der Abgrenzung, Ausgrenzung und Verdrängung sind wir überhaupt erst da, wo wir sind.

Heute erfuhr ich von der Bewegung „Aktiv gegen Hass“ von Christa Goede. Der Satz ist sehr sprechend: Man soll aktiv gegen Hass sein. Was tue ich, wenn ich gegen etwas bin? Ich lehne es ab. Was ist eine starke Form der Ablehnung? Hass.
Die Bewegung meint es natürlich gut. Aber die Formulierung drückt genau das Problem aus. Sie fokussiert sich auf den Hass. Wir hassen den Hass. Wir wollen ihn NICHT HABEN. Er sollte nicht da sein. Wir wollen ihn ausmerzen oder wenigstens einsperren. Als Metapher: Da ist ein superordentliches, fancy Haus, alles schick und aufgeräumt, aber geh bloß nicht in den Keller, denn da ist dieser eine Raum, wo lauter widerliche Gesellen eingesperrt sind, Verwandte, die man leider nicht vor die Tür setzen darf, die man aber AUF KEINEN FALL im Wohnzimmer sitzen lassen will. Der Hass ist in diesem Keller eingesperrt, und irgendwie hat er sich befreit und kommt jetzt hochgekrochen und verdreckt das ganze schöne Haus.

Was es bräuchte, wäre eine liebende Haltung, denn Hass hat uns das alles eingebrockt. Liebe bedeutet nicht, alles gut zu finden, was Hass anrichtet. Aber Liebe bedeutet, mitfühlend zu sein mit dem, was Hass dazu bringt, sich so zu verhalten. Und das können wir überhaupt nicht. Die meisten können sich vielleicht höflich verhalten, wenn es um gewaltbereite Charaktere geht, aber nicht liebevoll. Wir verurteilen genauso wie sie, nur dass es andere Objekte sind, die wir verurteilen (wir verurteilen ja „wirklich schlechte Menschen“!), und dass wir nicht zu so drastischen Mitteln greifen. Und jetzt fliegt uns diese Verurteilung um die Ohren.

Die Rechten spiegeln uns unseren eigenen Schatten.

Es ist wirklich unser eigener Schatten, den die Rechten uns spiegeln. Wir Nichtrechten (man ist ja nicht automatisch links, nur weil man nicht rechts ist) dürfen nämlich eigentlich nicht hassen. Das macht man nicht. Das ist ungebildet und armselig. Wir dürfen etwas missbilligen, problematisch finden. Traurig sein geht auch. Aber hassen ist nicht tugendhaft – höchstens, wenn man das Richtige hasst. Also hassen wir die Rechten, weil sie so eklig sind, so geistig arm („Sie können ja noch nicht mal richtig deutsch!“), so menschenverachtend. Aber eigentlich hassen wir sie, weil sie uns unseren eigenen Hass spiegeln.

Heute fand ich einen Beitrag von Jonathan Pie vom 10.11., der es genau auf den Punkt bringt:

Jeder von uns hat Fremdenhass in sich.

Nur was für den Einzelnen fremd ist, unterscheidet sich. In jedem einzelnen Land auf der Erde gibt es Fremdenhass. Wir hassen das, was wir nicht kennen, weil wir Angst davor haben: „Die“ sehen komisch aus. „Die“ ziehen sich komisch an. Man versteht sie ja nicht! Wer weiß, was die sagen!? Die sind viel lauter/leiser als wir und außerdem haben sie so komische Bräuche. Eigentlich haben wir vor allem Angst. Aber Angst fühlt sich beschissen an, daher lehnen wir die Angst ab. Wir hassen sie – und die, die sie ausgelöst haben, am besten gleich mit. Hass hat mehr Energie als Angst; man ist handlungsfähiger. Manche Weiße hassen Schwarze, manche Schwarze hassen Weiße, manche Israelis hassen Araber – und umgekehrt, manche Moslems hassen Christen und Juden, manche heterosexuelle Männer hassen Homosexuelle, manche Veganer hassen Fleischesser, manche Fleischesser hassen Veganer, Hippies hassen Spießer und umgekehrt. Die Aufzählung ließe sich beliebig lange fortsetzen. Wir tun es alle. Vielleicht nicht so ausgeprägt wie die Rechten. Aber insgeheim lehnt jeder etwas stark ab.

Wir Deutschen sind immer noch traumatisiert vom Zweiten Weltkrieg.

Immer noch fühlen wir Deutschen die Scham, dass in unserem Land so etwas Schreckliches passiert ist wie der Holocaust. Dass wir einem Verbrecher auf den Leim gegangen sind, dass wir nichts unternommen hatten. Denn auch wenn die Vorfahren, die das alles noch life miterlebt haben, langsam aussterben, haben sie uns die Scham vererbt. Aber Scham und Schuld nützen gar nichts, wenn man sich darin verschanzt, bzw. wenn man sie vor sich herträgt wie einen Schild á la „Wir schämen uns ja, guckt hin! Wir geißeln uns immer noch!“

Ich finde aber, dass wir gnädig sein dürfen mit uns, dass unseren Vorfahren das Dritte Reich passiert ist. Ich will das alles überhaupt nicht entschuldigen, aber Hitler wurde Reichskanzler, als die Demokratie in Deutschland noch ganz frisch war. Sie hatte 1933 noch die Eierschalen hinter den Ohren, denn der Erste Weltkrieg war ja erst 15 Jahre her (das ist kürzer als die Amtszeit von Bundeskanzler Helmut Kohl!). Die Deutschen hatten damals noch die Monarchie im Blut, zuletzt die „gute alte Kaiserzeit“, wo eine strenge, militaristische Vaterfigur gesagt hatte, wo es langging. Zu gehorchen ist viel einfacher als selbst zu denken – man macht einfach das, was der Chef sagt. Dreißig Jahre hatte Kaiser Wilhelm geherrscht, bevor die Weimarer Republik ausgerufen wurde, und auch davor hatte es in Deutschland immer nur Monarchie gegeben. Und da die Demokratie noch eine vollkommen ungewohnte Staatsform war, konnten die streng erzogenen Deutschen damit einfach noch nicht umgehen. Sie sehnten sich nach einem Mann, der durchgreift, weil sie einfach noch nicht reif waren für so viel Freiheit. Und außerdem gab es die hohe Arbeitslosigkeit und die hohe Inflation. Für das gehorsamgewohnte Gehirn war es ganz klar, dass das alles die Schuld der seltsamen Demokratie war. „So einen neumodischen Firlefanz wollen wir nicht“, haben sich sicher viele gedacht. Und dann haben sie die Demokratie wieder abgewählt und sich dankbar und erleichtert dem Österreicher an den Hals geworfen.

Und Hitler offerierte nicht nur Stärke, sondern auch Zusammenhalt und ein stringentes Weltbild. Da er nichts dem Zufall überließ, war alles aus einem Guss: Uniformen, Logo, Farbigkeit, kurze, einfache Parolen, Filme, Wochenschau, Jugendbewegung, alles gleichgeschaltet und aufeinander abgestimmt. Der gute Onkel Adolf war so freundlich, es zu organisieren, dass jeder Haushalt einen Volksempfänger bekam! So konnte man die Propaganda mundgerecht in jeden Haushalt bringen. Endlich wieder eine starke Figur, die einem das Denken abnimmt! Vermutlich war es Goebbels, der den Propagandafilm überhaupt erfunden hat. Für die damalige Zeit war das extrem fortschrittlich und leider auch sehr intelligent, und die Deutschen waren dementsprechend auch nicht darauf vorbereitet und gingen dem Österreicher voll auf den Leim. Und ich finde, das kann man ihnen angesichts ihrer Unerfahrenheit nicht vorwerfen. Hinterher ist man immer schlauer.

Und als das Dritte Reich installiert war und der Holocaust langsam Fahrt aufnahm, hatten die meisten Deutschen vermutlich schon zu viel Angst, um etwas zu unternehmen. Denn es gehörte ja buchstäblich Todesmut dazu, sich gegen das Regime zu stellen – das hatten alle bis dahin intensiv begriffen!

Als die Nazis besiegt waren, schämten sich unsere Vorfahren in Grund und Boden; die einen, weil es ihnen so lange nicht aufgefallen war, welchem Verbrecher sie hinterher gerannt waren, die anderen, weil sie besiegt worden waren, und sicher gab es noch viele andere Gründe. Und aus diesem Grund konnte über diese Zeit lange gar nicht gesprochen werden.

Und seit wir darüber sprechen, sind wir sehr political correct und humorlos. Wir haben etwas Moralinsaures; uns fehlt die Leichtigkeit z.B. der Franzosen, wie man sie im Film „Die Töchter des Monsieur Claude“ beobachten kann. Wir können noch immer nicht humorvoll mit dem Dritten Reich umgehen, weil wir uns immer noch so sehr schämen. „Wir dürfen den Nazis nie mehr eine Chance geben!“, sagen wir im Brustton der Überzeugung. Wir wollen sie verbieten, unterdrücken; wir hassen sie, weil wir es endlich besser machen müssen als unsere Vorfahren, und weil wir Angst haben, dass es wieder passiert.

Der Hass war nie weg. Er wurde nur nicht laut gezeigt.

Viele Jahre haben die Menschen sich nicht getraut, ihre Angst und ihren Hass auszudrücken, weil sie wussten, dass man das nicht macht. Aber er war sowieso immer da. In den Wohnzimmern mit den Eiche rustikal-Schrankwänden, an den Stammtischen verrauchter Eckkneipen wurde er verstohlen hinter vorgehaltener Hand zelebriert („Mer derf’s ja net laut saache, aber…“). Jetzt ist er wieder salonfähig, aber das ist auch das einzige, was jetzt anders ist. Die Menschen sind nicht alle plötzlich schlecht geworden, sondern sie zeigen nur ihre schlechte Seite jetzt offener.

Ich empfehle in diesem Zusammenhang dieses anderthalbstündige Video von Rüdiger Dahlke über Resonanz und das Schattenprinzip.

Wie wäre es mal mit Mitgefühl und Vergebung statt Verurteilung?

Verurteilung haben wir ja schon ausprobiert, und es hat nichts genützt. Wie wäre es, wenn wir jetzt mal was anderes versuchen würden? Natürlich habe ich keine Patentlösung, aber ich weiß, dass es so, wie wir es jetzt versuchen, nicht funktioniert. Wer gerne direkt mit dem Menschen arbeitet, kann dem einzelnen Rassisten von nebenan Empathie geben für seine Angst und tiefe Verunsicherung, bevor er versucht, ihm andere Wege zu zeigen.

Wer den Rechten lieber weiträumig aus dem Weg geht (so wie ich) kann bei sich selbst schauen: Man kann z.B. der Fremdenfeindlichkeit sich selbst gewahr werden. Ich bin z.B. fremdenfeindlich gegen Trump-Wähler und Rechte; sie sind meine Fremden, die ich ablehne.

Sie meinen, Sie schaffen es nicht, über Rassisten auch nur mitfühlend zu denken? Kann ich total verstehen – aber genau das ist das Problem. Wir erwarten von ihnen, dass sie sich ändern, aber wir haben noch nicht mal Mitgefühl. Sie sollen sich nur ändern, damit sie keine schlechten Menschen mehr sind. Aber innerhalb ihrer (immer größer werdenden) Gruppe sind sie voll akzeptiert; warum also sollten sie irgendwas ändern?

Sagt Ihnen der Name Jesus Christus etwas?

Ich aber sage euch: Liebet eure Feinde; segnet, die euch fluchen; tut wohl denen, die euch hassen; bittet für die, so euch beleidigen und verfolgen,auf dass ihr Kinder seid eures Vater im Himmel; denn er läßt seine Sonne aufgehen über die Bösen und über die Guten und läßt regnen über Gerechte und Ungerechte.… (Matthäus, 5, 44)

Ich bin überhaupt nicht bibelchristlich, aber diese Stelle konnte ich mir jetzt einfach nicht verkneifen!

Ho’oponopono ist eine Methode, sich selbst zu vergeben, indem man erkennt, dass man einen eigenen Anteil auf einen Anderen projeziert hat.

Schon die Entstehungsgeschichte ist sehr berührend: Durch die „Selbstvergebung“ des hawaiianischen Arztes Dr. Ihaleakala Hew Len konnte eine ganze Abteilung einer forensischen Psychiatrie geschlossen werden – weil alle Insassen geheilt worden waren, obwohl der Arzt nie einen der Patienten zu Gesicht bekommen hatte. Er hatte nur die Akten der Insassen in einem Büro studiert. Und dabei arbeitete er an sich selbst, indem er den Teil in sich heilte, der den „verhaltensauffälligen“ Teil im Anderen erschaffen hatte.

Dr. Len ist der Auffassung, dass alles, von dem man auch nur Kenntnis erhält, etwas mit einem selbst zu tun hat. Er stellte sich die Frage: „Was passiert in mir, dass ich das erfahre?“ Er erfuhr also von gewalttätigen Patienten und solchen, die auf der Station durchdrehten, und er suchte nach dem Teil in sich, der dieses Verhalten erschaffen hatte.

Wenn man die vollkommene Verantwortung für sein Leben übernimmt, dann ist alles, was man sieht, hört, schmeckt, berührt oder sonstwie erfährt, in der eigenen Verantwortung, allein, weil es überhaupt auftaucht. Im Grunde existiert nichts wirklich – nur als Projektion aus dem Inneren.

Wie es geht:

Ich bestätige die Anwesenheit des Hässlichen in mir: Es tut mir leid.
Ich liebe das Hässliche in mir Ich liebe mich (dich).
Ich danke für die Umwandlung des Hässlichen in mir: Ich danke.
Ich verzeihe dem Hässlichen in mir: Ich verzeihe (es) mir (dir).

Dann kann man noch sagen „Ich segne dich. Ich übergebe es Gott. Ich lasse dich los in die bedingungslose, göttliche Liebe, von der du ein Ausdruck bist.“

Meist ist es hilfreich, diese Sätze mehrere Male zu sagen oder zu denken, so lange, bis man eine Veränderung wahrnimmt. Und wenn ein Satz besonders schwer über die Lippen kommt, ist dies nicht schlimm – die Göttliche Sphäre benötigt nur eine kleine Bereitwilligkeit.

Es ist sehr lohnend, Dr. Ihaleakala Hew Len selbst anzuschauen. Er ist eher ein bärbeißiger Mensch und wirkt gar nicht so „heilig“, wie seine Arbeit es vermuten lassen würde. Es sind übrigens im Ganzen neun Videos:

Nun, da wir in Trump ein Monster erschaffen haben, wird es Zeit, unsere Hausaufgaben zu machen. Dringend.