Ehrlich gesagt ist die nutzloseste Phrase ever!
„Ehrlich gesagt“ – Ich höre diese Phrase in allen Varianten fast täglich, und jedes Mal muss ich ganz tief ausatmen. Und ich muss das jetzt einfach mal ausdrücken.
„Soll ich mal ehrlich sein?“ Nein, bitte lügen Sie mich lieber an!
Ist Ehrlichkeit so eine große Ausnahme, dass man es extra kenntlich machen muss, wenn man mal die Wahrheit sagt?
Ich bin so irritiert, weil Ehrlichkeit meine Grundeinstellung ist. Natürlich kann ich es mir nicht leisten, immer zu 100% ehrlich zu sein. Bei oberflächlichen Kontakten lüge ich am ehesten, z.B. wenn eine oberflächliche Bekannte mich fragt, ob es mir gut geht und das nicht der Fall ist. Ich lüge dann, weil ich nicht näher in Kontakt mit der anderen Person kommen und ihr nicht meine ganze Lebensgeschichte erzählen will, oder weil ich glaube, dass eine ehrliche Antwort sie sowieso nicht interessiert. Aber es fühlt sich immer doof an, wenn ich lüge. Ich bin also in der Regel ehrlich und habe daher keinen Grund, meine Ehrlichkeit für bestimmte Fakten oder Gefühle nochmal extra hervorzuheben.
Warum haben sich diese Ehrlichkeits-Phrasen so eingebürgert? Warum sagen wir „Ganz ehrlich?“, „Wenn ich ehrlich bin, …“ und „Ehrlich gesagt…“? Manche Menschen sagen erst etwas, und dann fügen sie noch hinzu, dass sie das ganz ehrlich zugeben müssen. So als hätte man es ihnen vorher nicht geglaubt. Und warum muss man sagen, dass man etwas zugibt? Man hat es doch gerade schon gesagt?! Will man Anerkennung für seinen Mut, etwas geäußert zu haben, was einem eigentlich unangenehm ist?
Ist es vielleicht naiv von mir, anzunehmen, dass Menschen zu mir ehrlich sind? Da ich von mir ausgehe, bin ich eher irritiert, wenn sie ihre Ehrlichkeit im Satz extra hervorheben, so als hätte das Seltenheitswert. Möglicherweise bin eher ich der Weirdo und Lügen ist so sehr die Norm, dass man eine ehrliche Aussage wie mit An- und Abführungsstrichen extra kenntlich machen muss? Aber wenn das bedeuten würde, dass der Rest gelogen ist, will man ihn doch eigentlich sowieso nicht hören, oder? Denn man will ja anderen Menschen eigentlich glauben – das gilt doch hoffentlich nicht nur für mich!
Alternativen für Phrasen mit „ehrlich“
Wenn ich etwas sagen will, das für mein Gegenüber unangenehm ist, frage ich: „Darf ich offen sprechen?“ oder ich beginne den Satz mit „Offen gestanden…“. Wenn man etwas gefragt wird und nur eine unbequeme Antwort geben kann, könnte man auch ankündigen: „Meine Antwort wird dir nicht gefallen,“ oder „Du willst die Antwort gar nicht wissen.“ Und den nachgeschobenen Satz „Das muss ich ehrlich sagen“ kann man einfach weglassen.
Bitte teilen Sie mit mir, wie Sie mit Ehrlich-Phrasen umgehen und was Sie dazu bringt, sie einzusetzen. Ich freue mich, mehr über die unterschiedlichen Motivationen zu lernen!
Sehr gut!! Genau das gleiche habe mich auch gerade gefragt! Meine Exlebenspartnerin machte mich dadurch erst misstrauisch! Sie begann ein paar mal einen Satz mit: „Ich bin ehrlich zu Dir…“. Das hat mich zutiefst verletzt, als sei es für sie eher etwas Außergewöhnliches! Man muss halt auf die kleinen Details achten, um die Wahrheit zu erfahren! Aufgrund des Misstrauens ist die Partnerschaft auch zuletzt in die Brüche gegangen!
Diesen Satz hinterfragte ich schon länger. Frühe habe ich ihn auch verwandt, aber nur bei sehr skeptischen Menschen, bei denen ich gut da stehen wollte. Zum Glück hat in all den Jahren meiner Reflktionen Entwicklung stattgefunden. Solch einen Satz höre ich aber ständig von einer Bekannten, die ich früher Freundin nannte.Sie keine mehr, weil sie mich ständig belügt, indem sie diesen Satz verwendet. Leider, oder sollte ich lieber sagen, zum Glück bin ich dahintergekommen. Denn ich gehe davon aus, dass ich nicht belogen werde von einer Freundin. Ebenso mache ich das auch nicht, wenn ich etwas nicht sagen will und jemand mit einer falschen Antwort nicht belügen will, antworte ich mit dem Satz, nimm es mir nicht übel, darüber möcht ich nicht reden.
Guten Tag,
ich finde Ihre Beiträge sehr beeindruckend und Sie sprechen mir aus der Seele.
Ich bin auch grundsätzlich ein ehrlicher Mensch und lüge nicht, deshalb verwende ich diesen Satz eher selten.
Ich kenne jemanden, der sogar ständig schwört und beteuern muss, dass es ja zig Zeugen für eine Sache gäbe, wo ich mich frage, wozu. Für mich bedeutet das, dass diese Person wohl des Öfteren nicht die Wahrheit sagt bzw. etwas verheimlicht.
Schade drum, wenn man ständig das Gefühl haben muss, etwas beteuern zu müssen. Es ist, als lebe man zwiespältig.
Gruß
Hinweis für die oben erwähnten Alternativen:
> „Darf ich offen sprechen?“ oder ich beginne den Satz mit „Offen gestanden…“
Ich finde diese Floskeln ähnlich prekär wie „ehrlich gesagt“, dann sie implizieren doch, dass ich sonst nicht offen spreche, klar es ist nich ganz so gravierend aber wenn man schon darauf achtet, dann geht das auch nicht.
Ich verstehe den Einwand. Gleichwohl bezeichnet das Offen-Sprechen in diesem Zusammenhang in meinem Fall immer eine Kritik, die ich sonst einfach verschwiegen hätte. Für mich fühlt es sich passender an, aber das vor allem, weil ich bisher keine bessere Formulierung gefunden habe.
Ich bin auf diesen Beitrag gestoßen, weil ich mir auch immer mal wieder Gedanken über diese nervige Phrase gemacht habe. Es gibt es ja so einige Floskeln, über deren Sinnhaftigkeit man streiten kann.
Ich sehe den Unterscheid zw. „offen gesagt“ und „mal ehrlich“ übrigens nicht wirklich (nächste Floskel 😉 ) Beides heißt für mich sowas in der Richtung wie „unter uns gesagt“. Da kommen so Dinge, die man womöglich eher in einer bestimmten Runde sagen würde, nicht öffentlich, oder die man angeblich eigentlich nicht so ausspricht, aber nun doch sagt (Stichwort, besorgte Bürger, die ihre Meinung nicht mehr sagen dürfen…angeblich)
Verwandt damit wäre auch noch „ich möchte nicht drum herum reden… “ Es mag Situationen geben, wo diese Phrasen wirklich passen, z.B. wenn man als Vorgesetzter dem MA etwas unangenehmes sagen muss, was jetzt vielleicht die Harmonie zerstört, aber es muss einfach gesagt werden. Im Alltag ist es meist einfach nur hol und es tut gut, seine tägliche Aussprache ein wenig zu hinterfragen.
„Auf gut Deutsch“ ist eine vergleichbare „Proletenfloskel“®.
„Ehrlich“ wird auch alleine in schlichter Weise eingesetzt.
Z.B. auf Ebay: Lötkolben 100W Holzgriff alt, ehrlich, funktioniert
Habe auch so einen hier, aus einer Hausleerung vor Abriss.
Ich selbst habe ihn nur kurz benutzt, und beim nächsten Mal war er defekt…
Auch Floskel wie „Bodenständig“, „Mit beiden Beinen…“ erzeugen in mir gewisse Abneigung.
Aber ganz besonders „Pöbelsolidierisierungsfloskeln“ wie „der Kleine Mann“ und ähnliches.
Wenn mich jemand so nennt, gibt es eine Strafanzeige wegen Beleidigung 😉 .
Über „Sag Ich mal“ gibt es sogar einen kritischen Artikel.
Und die Verwendung des Wortes „man“ ist auch kritisch.
„man trinkt Alkohol“, „man ist einsam ohne Partner“, „man hört Musik“ etc..
Nein, das ist NICHT automatisch „man“ (also mehr oder weniger „alle“).
Klasse dass ich diese Seite entdeckt habe: Besonders bei Schauspielern die ja selbstsicher und präsent auftreten wollen, höre ich häufiger in Talkrunden diese Floskel: ehrlichgesagt, dicht gefolgt von: ich habe das Gefühl oder quasi – was steckt dahinter frage ich mich? Unsicherheit, zu überlegen ob ich mit ehrlichgesagt meine Aussage unterstreichen will? Bin ich ehrlich, wenn ich über meine Arbeit und meinen Erfolg als Schauspieler spreche, dann kommt es beim den Zuhörenden wesentlich kompetenter an äußere ich mich mit Überzeugung in meiner Stimme: Ich bin stolz das geschafft zu haben – wo braucht es da noch ein ehrlichgesagt? Wer ausreichendes Selbstwertgefühl besitzt der spricht mit aufrichtiger und ehrlicher Stimme – allein vom Timbre und der Modulation hört eine aufmerksamer Zuhörender was derjenige ausdrücken will. Ja, da gibt es für die Schauspieler noch einiges zu lernen und auch so manch anderer darf gerne innehalten und sich fragen: welche Floskeln kommen mir automatisch über die Lippen?
Dagmar
„Offen gestanden“ , ebenfalls eine Phrase auf die man verzichten sollte. Das Beste, eine klare Ich-Botschaft! Phrasen beinhalten meist das Gegenteil ihrer Formulierung ( Lüge/nicht offen sein), sie spiegeln etwas vor, was nicht ist. Gutes Beispiel: Vor 3 Tagen reagierte Frau Wagenknecht auf ihre vorherige völlig falsch Einschätzung Putins in einer Rede mit der Eingangsformulierung „Ich möchte ganz ehrlich….“ Im Kontext wird deutlich, dass sie nicht abrückt von Ihrer Fehleinschätzung, sondern relativiert. Frage wäre: was löst sie beim Leser durch die gezielt gesetzte Phrase aus? Was will sie bewirken? Antwort müsste klar sein.
Hallo Frau Vater,
Ihr Kommentar hat bei mir einen langen Nachdenkprozess ausgelöst: Ich dachte an all die Menschen, die ich schon getroffen habe, die diese Floskel inflationsartig verwenden. Bedeutet „Ehrlich gesagt“ immer, dass man danach lügt? Oder davor gelogen hat? Könnte es doch eine unbedeutende, sinnentleerte Floskel sein?
Wie Sahra Wagenknecht ihre Fehleinschätzung kommentiert, habe ich nicht gesehen, weil ich aus Selbstschutz gerade keine Massenmedien konsumiere. Nach meinem subjektiven Gefühl ist Wagenknecht ehrlicher als die meisten anderen Politiker.
Die Antwort auf Ihre Frage, was Wagenknecht mit dieser (angeblich, denn woher wollen Sie das so genau wissen) gezielt gesetzten Phrase bewirken will, ist mir übrigens keineswegs klar. Ich bin auch nicht die Richtige, um schlecht über Wagenknecht zu sprechen. Wenn es um Lauterbach ginge, wäre ich eher dabei.
Ehrlich gesagt, weiß ich nicht warum ich diese Phrase so oft verwende. Meistens nutze ich sie wenn ich etwas gestehe (Ängste z.b) die ich sonst versuche zu verbergen.
Es fühlt sich einfach richtig an 😉
Ich glaube nicht, dass es etwas mit „Lügen“ zu tun hat weil ich extrem selten lüge – in deinem Beispiel mit der Bekannten hätte ich z.b einfach gesagt „das es mir nicht gut geht, aber ehrlich gesagt – möchte ich mit dir nicht darüber genauer sprechen“.
Vielleicht benutze ich es auch so häufig weil mir Ehrlichkeit & authentisch sein besonders wichtig ist, ich mich aber nicht immer traue. (besonders bei Ängsten eben).
„Ehrlich gesagt“ ist für mich eher eine Phrase für ein Moment der Offenheit, Vertrauen. Daher würde ich an deiner Stelle es nicht so engstirnig wortwörtlich nehmen (denn das ist unsere Kommunikation nie!) und vielleicht überlegen, ob gerade jmd dir etwas anvertraut, was er/sie sonst nicht sagt.